Es gibt Werte, über die man nicht diskutieren müssen sollte. Freiheit zum Beispiel. Oder Liebe. Für Kettcar steht das außer Frage. Für manch andere leider nicht. Genau deshalb drehen sich die Lieder der Hamburger Band um diese Themen, um Menschlichkeit, Verständnis und Wertschätzung im wahrsten Sinne des Wortes. „Humanismus ist nicht verhandelbar“, betont Frontmann Marcus Wiebusch während des Auftritts der Hamburger, mit denen die insgesamt drei Open-Air-Konzerte 2024 auf dem Roncalliplatz eingeläutet werden – und rund 2000 Fans beziehen Position und stimmen zu. Manchmal muss man eben ein Zeichen setzen und auf Veränderungen hoffen. „Eine Revolution werden wir nicht anzetteln“, gesteht Wiebusch, „aber Musik hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen, die das selbe fühlen, und das ist nicht Nichts.“
Nein, Nichts ist dieses Konzert wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil: Tatsächlich hinterlassen Kettcar mit ihrem eindringlichen Auftritt Eindruck, mit ihren poetischen Texten und mit ihrem Indie-Rock, der auch nach 23 Jahren ehrlich, authentisch und leidenschaftlich wirkt, markig im Sound und gefühlvoll in den Texten. Mal würdigen sie Fluchthelfer („Sommer ‘89“), dann wieder warnen sie vor Alltagsrassismus („München“). Besonderen Eindruck hinterlässt auch Wiebuschs „Der Tag wird kommen“ über einen schwulen Fußballer, dem der Mut zum Outing fehlt und der daran zu zerbrechen droht – an dieser Stelle recken alle auf dem Roncalliplatz als Zeichen der Solidarität die Hände in die Höhe. „Köln, seid ihr mit mir?“ Ja klar. Jederzeit.
Ohnehin ist die Domstadt für Kettcar ein angenehmes Pflaster. „Wir spielen häufiger in Köln als in Hamburg“, sagt Wiebusch und erinnert sich an so einige aufregende Konzerte. Normalerweise sind die allerdings länger als das auf dem Roncalliplatz: Hier muss um 22 Uhr Schluss sein, zum Schutz der Anwohner. Dabei steht zumindest ein Fenster in einem der anliegenden Häuser weit offen, und drei Bewohnerinnen und Bewohner genießen den Auftritt sichtlich. Trotzdem gilt die Sperrstunde, und so bleiben Kettcar lediglich 90 Minuten, um ihre Geschichten zu erzählen, die gesellschaftskritischen ebenso wie die unterhaltsamen, die feinen Liebeslieder („Balu“) und die Jugenderinnerungen („Benzin und Kartoffelchips“). Früher anfangen wäre natürlich eine Option gewesen, das hätten die Fans sicherlich begrüßt. Doch dann hätte Thees Uhlmann nicht spielen können, und das wäre ebenso traurig gewesen. Der einstige Sänger von Tomte, der längst auf Solo-Pfaden wandelt – und das sehr erfolgreich –, ist eigenen Angaben zufolge seit 25 Jahren Vorband von Kettcar, mit einer ähnlichen Mission und mit teils noch bezaubernderer Bildsprache. Wer es schafft, einen Titel wie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ zu schreiben, ist auf jeden Fall ein Meister der deutschen Sprache, ein großer Künstler mit einem fantastischen Gefühl für Rhythmus und Poesie. Allerdings ist Uhlmann etwas melancholischer als Kettcar unterwegs und zugleich etwas introvertierter, nachdenklicher, leiser. Seine Musik ist der Versuch, die Welt zu verstehen und das Durcheinander in Worte zu fassen, die andere Seelen im besten Fall anregen und zum Klingen bringen. In Köln, wo Uhlmann Mitte der 1990er Jahre vorübergehend studierte (deswegen hat er extra die Nummer „In Köln und dann in meinem Zimmer“ ausgebuddelt), gelingt ihm dies tatsächlich. Und auch das ist nicht Nichts.
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