Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gehören sicherlich zu den berühmtesten barocken Werken überhaupt und ist trotz – oder vielleicht mitunter sogar wegen – der vielen repetitiven Motive auch bei Choreographen überaus beliebt. Der Ansatz von Thierry Malandain ist allerdings neu: Erstmals kombiniert er Vivaldis Violinkonzerte mit denen seines weniger bekannten Zeitgenossen Giovanni Antonio Guido, der seine „Scherzi armonici sopra le quattro staggioni dell’anno“ als bewusste Hommage an die „Vier Jahreszeiten“ veröffentlicht hatte. Die so entstehende Spannung nutzt der Franzose auf Anregung von Laurent Brunner, dem Direktor des Schlosses Versailles-Spektacles, und Stefan Plewniak, Dirigent der Königlichen Versailles-Oper, für eine 60-minütige Choreographie, in der Volks- und Hoftänze, klassische Ballett-Ästhetik und moderne Ausdruckskraft zu einer eindrucksvollen Melange verschmelzen. Nun hat sein Ensemble, das Malandain Ballet Biarritz, in der Bonner Oper eine umjubelte Aufführung dargeboten.
Malandain, das wird schon in der ersten Minute klar, liebt klare Strukturen, geometrische Muster, große Formationen. Er glaubt an fließende Bewegungen, an Eleganz und Präzision, an die Eleganz
des französischen Balletts. Doch eine Rückwärtsgewandtheit kann man Malandain deshalb nicht vorwerfen. Ganz im Gegenteil: In den klassischen Rahmen fügt er moderne Bewegungen ein, energiegeladene
Figuren, die im Kontrast zu den barocken Rondos und den pastoralen beziehungsweise folkloristischen Tänzen stehen, die Vivaldi vor allem im „Frühling“ und im „Herbst“ eingebaut hat und die
Malandain geschickt in Szene setzt, ohne sie dabei der Lächerlichkeit preis zu geben. Vielmehr entstehen sie fast schon organisch aus den perfekt getanzten Ensemble-Passagen mit ihren
zeitgenössischen Elementen. Dabei verzichtet Malandain auf allzu Figürliches, deutet nur an und lässt die Fantasie sowie die Musik den Rest erledigen.
Zwischen den großen Gesten wird es auch mal etwas übersichtlicher auf der Bühne: Dann darf ein Tänzer im hautengen durchsichtigen Kostüm alleine glänzen (Kostüme: Jorge Gallardo), später erhält
er eine Partnerin, noch etwas später steht ein Trio auf der Bühne. Irgendwann sind es dann vier Gestalten für vier Jahreszeiten, die mit großen schwarzen Tüchern wedeln – die sinnlichen,
tanzenden Körper werden gewissermaßen ergänzt um ein Symbol der Vergänglichkeit. Am Ende wird das ganze Ensemble so aussehen. Das zeigt Wirkung, immerhin, das passt auch zum Winter, und auch zu
Giovanni Guidos Musik, die etwas bitterer und dunkler klingen als die flirrenden Passagen Vivaldis. Die vorhergehenden Soli und Kleinstbesetzungen sind dagegen trotz technischer Brillanz nicht
ganz so überzeugend, vielleicht aber auch nur deshalb, weil die großen Bilder, die Malandain kreiert, so ungeheuer eindrucksvoll sind. Das Publikum ist auf jeden Fall begeistert und beschenkt das
Malandain Ballet Biarritz mit lang anhaltenden, stehenden Ovationen.
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