Kinga Glyk als Senkrechtstarterin zu bezeichnen, wird ihr kaum gerecht: Spätestens seit ihrem zweiten Album „Happy Birthday“ und ihrer erfolgreichen Youtube-Cover-Version von Eric Claptons „Tears in Haven“ überschlagen sich Kritikerinnen und Kritiker mit Lob und suchen nach den am besten passenden Superlativen für die Bassistin. Manche bezeichnen die 27-Jährige gar als designierte Nachfolgerin von Jaco Pastorius. Die Messlatte liegt also hoch, vielleicht sogar (noch) zu hoch für eine Musikerin, die immer noch auf der Suche nach sich selbst ist. Auf diesem Weg ist sie allerdings schon erstaunlich weit, wie sie jetzt auch im Rahmen des „Over the Border“-Festivals bei einem Konzert in der Harmonie beweist. Dort erweist sie sich als überaus dynamisch, kraftvoll, eigenwillig – und überaus experimentierfreudig.
Glyks neuestes Album trägt den Titel „Real Life“ und wird passenderweise von der Künstlichkeit elektronischer Musik dominiert. Mit Paweł Tomaszewski und Michał Jakubczak hat die Polin gleich zwei
Keyboarder in ihrer Band, dazu die aufstrebende Saxofonistin Hailey Niswanger, die die meiste Zeit über das elektronische Blas-Instrument EWI spielt und damit klanglich irgendwo zwischen
Synthesizer und Theremin liegt. Dazu wirbelt Greg Clark Jr. über die Drums, Impulse gebend, anfeuernd, aufpeitschend. Auf dieser Grundlage erschafft die Band komplexe Modern-Jazz-Welten voller
verschachtelter Melodien und wabernder Tonflächen, die ineinanderlaufen, sich durchdringen und sich auftürmen, mit Glyks Bass als einzigem Kompass durch das futuristische Geflecht. Sie führt,
gibt Leitlinien vor, hält alles zusammen und galoppiert nur dann davon, wenn sich die aufgewühlten Wogen etwas beruhigt haben. Dann aber richtig – Glyks melodische Vorstellungen sind
beeindruckend, ihre facettenreiche Technik sowieso.
Leicht verdaulich ist Kinga Glyks Musik nicht gerade, zumindest nicht für jedermann. Das Publikum in der Harmonie scheint aber im Vorfeld gewusst zu haben, worauf es sich einlässt – der tosende
Jubel, der immer wieder aufkommt, ist da eindeutig. Das mag aber auch damit zu tun haben, dass die charmante Bassistin die Menge immer wieder adressiert und mitunter auch ins Geschehen
einbezieht. „Gagadadedada“ nach Tönen, das ist schwieriger, als es aussieht, macht aber durchaus Spaß. Und das ist bei so einem Konzert die Hauptsache.
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