Laufey: Ein bisschen retro

Das Carlswerk Viktoria ist gut gefüllt, vorwiegend mit jungen Menschen, von denen einige – so erzählt es jemand vom Sicherheitsdienst – offenbar noch mit einem Muttizettel unterwegs sind. Doch statt einer wilden Party ist höchstens entspanntes Swingen angesagt. Unter anderem zu „Misty“. Ja, „Misty“. Der Jazzschlager von Eroll Garner. Ein Lied, das 70 Jahre alt und auf einmal wieder in ist, und zwar dank der isländisch-chinesischen Sängerin Laufey Lin Bing Jónsdóttir, die unter ihrem Vornamen insbesondere bei sozialen Medien wie Tiktok eine beträchtliche Anhängerschaft um sich geschart hat. Auf ihrer „Bewitched“-Tour ist sie nun auch nach Köln gekommen und erreicht dort, woran sich andere die Zähne ausgebissen haben: Sie begeistert die Generation Z für den Jazz. Und den Bossa Nova.

Zugegeben, „Misty“ ist genau genommen eine Ausnahme. Normalerweise interpretiert Laufey ihre eigenen Lieder, aber ein paar Zitate aus den Evergreens müssen einfach sein – zumal sie wirklich perfekt passen. Schließlich sind sämtliche Kompositionen der 24-Jährigen eindeutig vom Great American Songbook mit seinen großen, mitunter schmalzigen Balladen inspiriert, die Ella Fitzgerald, Doris Day und Billie Holiday berühmt gemacht haben. Doch auch der Trompeter Chet Baker wird von ihr immer wieder als Vorbild genannt, während das Erbe von João und Astrud Gilberto schon beim Opener „Fragile“ anklingt und später bei „Falling Behind“. Das Ergebnis dieser intensiven Beschäftigung mit den Standards der 30er, 40er und 50er Jahre, vermischt mit zeitgenössischem Pop, strahlt einen erkennbaren Retro-Charme aus, ohne aber angestaubt zu klingen. Die Arrangements sind durchaus zeitgemäß, wenn auch mitunter ein wenig kitschig, die Texte aus dem Leben einer jungen Frau gegriffen, in dem sich nicht alles, aber doch vieles um die Liebe und den Herzschmerz dreht und ausnahmsweise mal nicht um all die Krisen und Kriege auf der Welt; diese Ausgangslage hat vor knapp 90 Jahren auch die Evergreens in den USA groß gemacht. Dazu kommt die Stimme von Laufey, ein bisschen unschuldig und ein bisschen verrucht zugleich, leicht kehlig und gehaucht, aber voll im Klang. Klasse.

Allerdings sind die musikalischen Fähigkeiten Laufeys nur ein Teil ihres Erfolgsrezepts. Sie weiß sich eben auch zu vermarkten, vor allem in den sozialen Medien. Laufey ist „die erste Jazzsängerin, deren Blues nicht von der blauen Stunde kommt, sondern aus dem Blau des Bildschirms“, schreibt der Musikjournalist Ulrich Stock zurecht über sie in der „Zeit“. Dort, in den Tiefen des Netzes, hat sie denn auch eine neue Single angekündigt, die am Tag nach dem Kölner Konzert erscheinen soll und das sie am Ende ihres Sets dann doch schon im Carlswerk anspielt. Das generiert Aufmerksamkeit, die Laufey an der Spitze hält – immerhin war sie 2022 der meistgestreamte Jazz-Act bei Spotify, insgesamt 425 Millionen Mal sollen ihre Songs abgespielt worden sein. Gleichzeitig hat sie erst vor kurzem den Grammy in der Kategorie Best Traditional Pop Vocal Album eingeheimst. So lange sie die Balance zwischen diesen beiden Genres wahrt, steht der Wiederbelebung des Jazz in der Popularmusik nicht mehr viel im Wege.

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