Schon seit Jahren kann sich das Tingvall Trio einer großen Fan-Gemeinde in Bonn sicher sein, wie etliche ausverkaufte Einzel- und Doppel-Konzerte in der Harmonie hinlänglich bewiesen haben. Aber mal gerade eben die Oper restlos auszuverkaufen? Das ist eine ganz andere Hausnummer und sonst eigentlich nur dem Jazzfest vorbehalten, dessen Strahlkraft über die Grenzen der Region hinausreicht. Andererseits sind Pianist Martin Tingvall, Bassist Omar Rodriguez Calvo und Drummer Jürgen Spiegel ohne Zweifel sowohl populär als auch virtuos genug, um den Saal mit seinen rund 1000 Plätzen zu füllen – und so luden sie am vergangenen Montag zu ein paar Flugstunden mit Spechten, Kolibris und Paradiesvögeln ein.
Stilistisch folgt das Tingvall Trio jenem bewährten Ansatz, die lyrisch-poetischen Melodielinien des skandinavischen Jazz mit pulsierendem Rhythmusspiel zu unterlegen, das gerne mal etwas
druckvoller und rockiger daherkommt, aber auch die Leichtigkeit lateinamerikanischer Musik aufweist. Insbesondere diese gleichberechtigten Schattierungen unterscheiden die Musik der Drei von
einem Großteil des nordischen Jazz: Die unglaubliche Kraft Spiegels, in der zweiten Konzerthälfte geradezu explodiert und sich in Ekstase trommelt, hat ebenso seinen Platz wie das fast schon
tänzerische Spiel von Rodriguez Calvo oder die flirrenden, dynamisch fließenden Tastenzaubereien Tingvalls. Dabei erweisen sich die Stücke des aktuellen Albums „Birds“ besonders facettenreich, so
wie bei „Hummingbird“ oder „Woodpecker“ – dass der Reiz manchmal aber auch in der Schlichtheit liegt, zeigt der Klassiker „Vägen“, der bis heute zu den schönsten Kompositionen Tingvalls
gehört.
Dazwischen tummeln sich vertonte Impressionen aus Tokio und von Kuba, Mahnungen und Warnungen in Form eines „S.O.S.“ sowie eine Hommage an Carlos Santana, der dem Trio bei den Aufnahmen zu „Air
Guitar“ ständig im Kopf rumgespukt haben soll. Angesichts der maschinengewehrartigen Schlagzeug-Salven Spiegels, der dafür vom Publikum mit tosendem Applaus bedacht wurde, muss der Rock-Charakter
der Latin-Legende aber deutlich überwogen haben. Kann man machen, die Oper hält so etwas ohne Weiteres aus. Schade ist allerdings, dass das Tingvall Trio – wohlgemerkt aus nachvollziehbaren
Gründen – auf Stücke aus der so genannten nordischen Trilogie (bestehend aus den Alben „Skagerrak“, „Norr“ und „Vattensaga“) verzichtet, obwohl diese sicherlich einen schönen Gegenpol zu den nach
vorne drängenden und noch oben steigenden Kompositionen gebildet hätte. Aber gut, das hätte wahrscheinlich den Rahmen gesprengt. Vielleicht beim nächsten Mal. Denn dass es eines geben wird, steht
außer Frage. Vielleicht auch dann wieder in der Oper.
Kommentar schreiben