Tango ist Leidenschaft und Feuer. Verführung und Stolz. Aber auch Melancholie und Schmerz. Am besten alles zusammen. „Der Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, hat der argentinische Komponist Enrique Santos Discépolo einmal gesagt. Und Nicole Nau bezeichnet ihn in der Show „Vida“, die sie mit ihrem Mann Luis Pereyra geschaffen und unter anderem im Bonner Brückenforum präsentiert hat, mit Blick auf den oft besungenen Herzschmerz sogar als „grausam“. Vor allem aber ist er faszinierend, insbesondere wenn zwei Weltklasse-Tänzer wie Nau und Pereyra ihn zusammen mit einem zehnköpfigen Ensemble auf die Bühne bringen – und nicht nur die Theatralik des Tango, sondern auch seine indigenen Wurzeln beleuchten.
Sowohl Veranstalter als auch Besucher können froh sein, dass die Aufführung von „Vida“ wie geplant stattfinden kann, nachdem Unbekannte einige Tage zuvor Buttersäure im Gebäude versprüht hatten und damit einen Großeinsatz auslösten. Mehrere Veranstaltungen mussten daraufhin verlegt werden, während das Team um Pächter Jürgen Harder die ganze Halle ausgiebig reinigte und letztlich dafür sorgte, dass mehrere hundert Tango-Fans eine herausragende Show sehen konnten, die mit Tanzdarbietungen auf höchstem Niveau begann und dann darüber hinaus ging. Die großen Gesten und die fast schon übertriebene Dramatik, mit denen der Tango auch ohne Worte Geschichten erzählen kann, machen nach und nach früheren Tanzformen Platz, die die Gauchos als Nachkommen iberischer Einwanderer und in Argentinien heimischer Indigener einst von ihren Vorfahren übernommen und schließlich in die Städte mitgebracht haben. Und während ihre Erben zunächst zu Compadres und schließlich zu Compadritos wurden und sich von Grasland- zu Asphaltcowboys wandelten, verschmolzen ihre Traditionen mit der Polka oder der Mazurka der europäischen Einwanderer und den Polyrythmen der afrikanischen Sklaven.
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Diese Transformation verfolgen Nau und Pereyra nach beziehungsweise drehen sie um. Während in der ersten Hälfte des Programms der Tango in all seinen Ausprägungen dominiert – ein junges Duo aus
dem Ensemble darf ihn sogar weiterdenken, indem es unter anderem einen akrobatischen Radschlag in ihre Choreographie integriert –, kommen nach und nach andere, frühere Formen hinzu: Der Chamamé,
der während der Kolonialisierung durch die Jesuiten entstand, der Zamba mit dem unabdingbaren Seidentuch oder der Chacarera mit den schwingenden Röcken. Am Ende landet das Ensemble, dann
ausgestattet mit Schädelmasken, sogar bei einem rituellen Tanz der Toba, die sich den Konquistadoren jahrhundertelang widersetzten und erst Anfang des 20. Jahrhunderts unterjocht wurden.
All dies in eine gut zweistündige Show zu gießen, ist eine bemerkenswerte Leistung, die wahrscheinlich keiner besser hätte meistern können als Nicole Nau und Luis Pereyra. Die gebürtige
Düsseldorferin und der Argentinier, der alle Tänze seiner Heimat gleichberechtigt abbilden möchte, zählen seit mehr als 20 Jahren zur Weltspitze des Tango Argentino, vor und hinter der Bühne.
Präzision, Leichtigkeit und Ausdrucksstärke des Duos sind bis heute auf höchstem Niveau, und auch die anderen Mitglieder ihrer Kompanie erweisen sich als atemberaubend gute Tänzerinnen und
Tänzer, denen die beiden Veteranen nur zu gerne den nötigen Raum lassen, um sich zu präsentieren. Und das zahlt sich aus: Wer den Tango liebt, kommt an dieser Show nicht vorbei.
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