Acostas Danza: Zwischen Mythos und Wahrheit

Carlos Acosta liebt die Vielseitigkeit. Der 50-jährige ehemalige Ballettstar und umjubelte Choreograph lässt sich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen, sondern will sie am liebsten alle zusammenbringen, um eine Evolution des Tanzes zu initiieren. Jetzt war die von ihm gegründete Kompanie Acostas Danza mit dem Programm „Cuban Eclectio“ zu Gast in der Bonner Oper und zeigt eindrucksvoll, was möglich ist, wenn man sich alle Optionen offen hält. Mühelos verbindet die Truppe aus Havanna Spitzentanz und Modern Dance, klassisches Ballett und Hip Hop, kubanische Jazz- und afrikanische Stammestänze – und beginnt den Abend direkt mit seinem Höhepunkt.

Mit „Satori“ hat Ensemble-Mitglied Raúl Reinoso ein mythisches Meisterwerk geschaffen. Getrieben von pulsierenden Rhythmen und mitunter hymnischen Chorklängen skizziert die Kompanie eine innere Reise hin zu innerer Erleuchtung, zu Freiheit und Frieden, alle Hindernisse überwindend. Dass letztere dabei ebenso sehr an Bilder aus Dantes „Inferno“ erinnern wie an Flüchtlinge, die in den Wogen des Meeres zu ertrinken drohen, ist vielleicht nicht intendiert – der Kampf gegen die Elemente, den Tänzerin Zeleidy Crespo mit geradezu animalischer Sinnlichkeit und unvergleichlicher Eleganz führt, lässt diese Gedanken aber durchaus zu. Immer wieder muss diese sich gegen Wellen aus Seide wehren und gegen sie zurückhaltende Hände, muss sich aus dem Griff ihrer männlichen Kollegen befreien und ihren eigenen Weg finden. Dabei zeigt sie Haltung, im wahrsten Sinne des Wortes, tanzt en pointe und zugleich panthergleich, immer dem Licht entgegen. Die Intensität ist nicht nur spür-, sondern geradezu greifbar, potenziert durch ein brillant gesetztes Licht und eine hypnotische, fast schon schamanistische Musik, die immer wieder neue Akzente setzt. Kein Wunder, dass das Publikum darauf mit frenetischem Applaus reagiert.

Gleiches lässt sich zu dem Pas de Deux „Faun“ sagen, für das Komponist Nitin Sawhney Claude Debussys Ballettmusik unter anderem um urtümliche Naturklänge und hypnotischen Gesang erweitert hat. Auch hier sind die Grenzen zwischen Mensch und Tier fließend, während sich der Waldgeist und die Nymphe in Sidi Larbi Cherkaouis Interpretation des Duetts umgarnen. Im Gegensatz zu Vaslav Nijinskys legendärer Choreographie ist der Primitivismus allerdings reduziert, das Sexuelle ästhetisiert und das Werben des Fauns nicht völlig vergebens. Vielmehr gewährt Cherkaoui den beiden mythologischen Figuren zumindest vorübergehend verträumt-romantische Momente und somit eine befriedigende Erfüllung. Ein fantastisches Stück und nicht ohne Grund seit der Premiere im Jahr 2009 eines der populärsten im Repertoire von Acostas Danza sowie die einzige Choreographie von „Cuban Eclectio“, die keine Deutschlandpremiere ist.

Angesichts der herausragenden Ästhetik und Dynamik der ersten beiden Choreographien liegt die Messlatte für die zweite Hälfte des Abends hoch – und bleibt letztlich unerreicht. Insbesondere das erste Stück nach der Pause, Pontus Lidebergs „Paysage, Soudain, La Nuit“, kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen, was weniger an der tänzerischen Qualität des Ensembles liegt als vielmehr an der sehr minimalistischen Musik, die innerhalb von 17 Minuten kaum Variationen bietet. Die bukolische Atmosphäre bleibt dadurch weitgehend statisch, was letztlich dazu führt, dass gegen Ende die Dynamik der Tänzer keine Entsprechung im Ton findet. Dennoch erhält auch dieses Stück herzlichen Applaus. Mit „Impronta“, einem Solo von Zeleidy Crespo, nähert sich das Niveau ohnehin wieder dem erhofften Standard an: Erneut treffen Stammestänze auf Moderne, erneut pulsiert die hypnotisch-flirrende Musik, und erneut erweist sich Crespo mit ihrem wirbelnd-wogendem Kleid als Energiebündel mit herausragender Formsprache.

Der Abend endet schließlich mit dem Ensemble-Stück „De Punta A Cabo“, in dem die Widersprüche der kubanischen Gesellschaft verarbeitet sein sollen. Vor einer Projektion von Havannas Uferpromenade Malecón können sich die Mitglieder von Acostas Danza ganz ungezwungen austoben und alle musikalischen Facetten ihrer Heimat präsentieren. Von zeitgenössischem Jazz über Salsa bis hin zu vom Industrialismus geprägter Elektronischer Tanzmusik ist alles vorhanden, während sich die Choreographie durch einen Tag und eine Nacht windet. Am Ende liegen sich die Tänzerinnen und Tänzer dann in einer Art Klammerblues in den Armen, begrüßen den neuen Morgen und lassen sich von einem euphorischen Publikum feiern.

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