Hagen Rether: Alles nur Kindergarten

Antworten? Hat er keine. Meinungen, ja, die gibt es, ebenso wie Thesen und Behauptungen, Klagen und Kritik, aber Antworten? Oder gar Erklärungen? Das ist einfach zu viel verlangt. Damit kann ein einzelner Mensch nicht dienen, selbst wenn er Hagen Rether heißt und seit 20 Jahren mehr oder weniger immer das selbe predigt. So wie einst Volker Pispers ist der 54-Jährige ein Rufer in der Wüste und ein Don Quixote des Kabaretts, gefangen im ewigen Kampf gegen die Ungerechtigkeit und den Wahnsinn in der Welt. Das ist aller Ehren wert, auch wenn er die Dinge manchmal zu einfach scheinen lässt, wenn er sich gerade wieder über ein gesellschaftliches Problem echauffiert und mit einem Lösungsansatz daherkommt, der gut klingt, aber nicht immer gut ist. So wie jetzt auch in der Bonner Oper, wo Rether auf Einladung von Rita Baus („Quatsch keine Oper“) regelmäßig zu Gast ist.

Obwohl er selbst dem eigenem Bekunden nach keine Antworten parat hat, glaubt Rether doch zumindest die Ursachen all der Probleme in der Gesellschaft benennen zu können. Und nein, es ist nicht die Bundesregierung, um das gleich vorwegzunehmen. Die nimmt er sogar noch in Schutz – wobei es ihm eigentlich nur um Robert Habeck geht, der jetzt in vier Jahren die Fehler der vergangenen 40 Jahre korrigieren müsse. Eine ähnliche Entschuldigung lässt er für Christian Lindner nicht gelten. Kein Wunder, schließlich gehört die FDP im Allgemeinen und Lindner im Besonderen zu den Erzfeinden Rethers, ebenso wie die CSU, vom ganz rechten Rand gar nicht zu reden (die AfD hält er allerdings für einen Scheinriesen). Gleiches gilt für Fleischesser, die Kirche und den Kapitalismus. Dagegen sind die Linken in Rethers Weltbild die Einzigen, die das Wort „Armut“ überhaupt in den Mund nehmen, und ohne die Grünen würde es weder Windkraftanlagen noch Ökostrom geben, was so manche politischen Missgriffe der vergangenen Jahre offenbar entschuldigt. Schön, wenn die Welt so einfach ist. Dabei betont Rether immer wieder, dass die es eben nicht sei; er spricht sich explizit gegen Schwarz-weiß-Malerei aus, gegen eingefahrene Denkmuster, gegen Personenkulte und gegen Schuldzuweisungen – nur um genau das dann selbst zu praktizieren.

Dabei hat Hagen Rether in vielen Punkten ja recht. Es fehlen Sozialpädagogen und Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus, es mangelt an Lehrern, an Pflegekräften und an gerechten Löhnen für diese und andere elementar wichtigen Berufsgruppen. Es wird zu wenig Geld in die Bildung gesteckt und zu viel in Selbstbeweihräucherung, zu wenig in Nachhaltigkeit und zu viel in unnötige Prestigeprojekte. Und ja, ein bisschen mehr Mitgefühl und Herzenswärme könnte viele Probleme lösen oder zumindest erträglicher machen. Das gilt aber nicht für mache Aussagen Rethers, der unter anderem die Wurzeln des Antisemitismus im christlichen Schöpfungsmythos verortet, mit Verweis auf die Corona-Jahre den Sport gegen die Kultur auszuspielen versucht („bei einem Klassikkonzert brauchen sie keine 600 Polizisten, um die Rachmaninow- von den Chopin-Fans fernzuhalten“) und das hohe Niveau beim (durchaus reformbedürftigen) Lehramts- und beim Medizin-Studium für die Schwächen im deutschen Bildungs- und Gesundheitssystem verantwortlich macht. Das ist nicht nur eine Vereinfachung, sondern gefährlich nah am Populismus dran. Dabei meint es Hagen Rether ja nur gut, und eigentlich weiß er es auch besser. Viel besser. Nur zeigt er das nicht immer, vielleicht schon alleine deshalb, um das Publikum nicht zu überfordern und es aus der kollektiven Lethargie zu befreien, die nachhaltige Lösungen blockiert. Was mit einfachen Erklärungen am besten geht, zumal der schlimmste Schweinehund noch im Weg steht: Der allgegenwärtige Egoismus der Menschen mit seinen ständigen Fragen nach dem persönlichen Nutzen und dem permanenten „Ich will, ich will“. „Wir müssen endlich erwachsen werden“, sagt Rether. Oder zumindest raus aus dem Kindergarten. Da gibt es nämlich nur einfache Erklärungen. Und nur selten gute.

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