Auch die gelbe Ziegelsteinstraße kann in einen Abgrund führen: Mit 47 Jahren ist Judy Garland, das einstige „All American“-Girl , an einem weiteren Tiefpunkt ihrer Karriere angekommen. Wie so oft hat sie kein Geld mehr, in Hollywood steht sie nicht zuletzt wegen ihrer Alkohol- und Tablettensucht auf dem Abstellgleis, und immer mehr Freunde und Familienmitglieder distanzieren sich zu ihr. Da kommt ein Engagement aus London, eingefädelt von ihrem Verlobten Nummer Fünf, der Nachtclubbesitzer Mickey Deans, gerade recht. Doch erneut fordern die Drogen ihren Tribut. Diese ebenso berührenden wie erschreckenden letzten Tage in Judy Garlands Leben hat der Dramatiker Peter Quilter in seinem Musical „End of the Rainbow“ verarbeitet, dessen Verfilmung Renée Zellweger 2020 zu einem Oscar verhalf. Jetzt hat das Kleine Theater Bad Godesberg das Stück auf die Bühne gebracht.
Um es vorweg zu nehmen: Es ist keine jubelnde Hommage, die Theaterchef Frank Oppermann hier auf die Bühne bringt, keine unkritische Lobhudelei. Und das ist auch gut so. Vielmehr zeigt „End of the
Rainbow“ die dunkle Seite von Garlands Leben und somit eine Frau, die viel zu früh zerbrach. Mit 14 Jahren hatte sie ihre erste Filmrolle, mit 17 wurde sie dank „Der Zauberer von Oz“ zum Star –
und schon zu dieser Zeit von den Produktionsfirmen je nach Bedarf mit Aufputsch- oder Schlafmitteln vollgepumpt. Wozu das geführt hat, macht „End of the Rainbow“ erschreckend deutlich. Die hier
gezeigte Judy ist ein Wrack, völlig kaputt und ohne ihre Drogen nicht lebensfähig. Ihre eigene Situation versucht sie so gut wie möglich zu verdrängen und sieht sich immer noch als einen
Weltstar, der sich alles erlauben kann. Und so schwankt sie denn auch zwischen Diva und Opfer, zwischen manischem Größenwahn und depressiven Zusammenbrüchen. Diese Gratwanderung setzt
Schauspielerin Heike Schmidt im Großen und Ganzen sehr überzeugend um, vor allem in den zurückgenommenen Momenten, wenn weniger Selbsttäuschung und mehr Leid gefordert ist. Denn Judy Garland ist
sich ihrer Sucht und deren Auswirkungen durchaus bewusst. Nur ist das Verlangen stärker als alles andere, selbst stärker als die Zuneigung ihrer Fans. „Blumen kann man nicht trinken“, schreit sie
in einer Szene.
Einen gewissen Anteil an dem immer stärker werdenden Sog, der Judy Garland nach unten zieht, hat auch Mickey Deans, den James Bürkner überaus vielseitig spielt: Auf der einen Seite zeigt er sich
als Sympathieträger, der Judy mit allen Mitteln zu beschützen versucht, auf der anderen Seite kristallisiert sich immer mehr heraus, dass er sie vor allem als Investition betrachtet. Bürkner
verweigert sich dabei lange einer eindeutigen Lesart, gibt den besorgten Verlobten mit der gleichen Intensität wie den arroganten Mistkerl. Erst am Ende, als er Judy die Pillen förmlich in den
Mund zwingt, offenbart er die wahre Natur Deans. Und so bleibt am Ende nur einer, der für die Garland immer nur das Beste wollte: Ihr Pianist Anthony Chapman, der ihr trotz seiner Homosexualität
einen Antrag macht, um sie schützen zu können. Carlos Garcia Piedra verleiht dieser Figur einen so wunderbar britischen, herzlichen Charme und eine tiefe Zuneigung zu Judy, dass die Abfuhr in der
letzten Szene doppelt schmerzt.
Natürlich geht Judy Garland trotz all ihrer Probleme immer wieder auf die Bühne, ins Scheinwerferlicht, das sie schon so oft verbrannt und zugleich zu Höhenflügen inspiriert hat. Schmidt singt
die berühmten Jazz-Standards wie „For Once In My Life“, „Come Rain Or Come Shine“ und natürlich „Somewhere Over The Rainbow“ mit schnarrender Stimme und gespielt alkoholschwangerem Timbre,
manchmal etwas gepresst, aber in den besten Momenten mit einer eindringlichen Qualität, die Garland durchaus gerecht wird. Die souveräne Band im Hintergrund tut unter der Leitung von Theo Palm
das ihrige für einen gelungenen und bewegenden Abend.
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