Serdar Somuncu: Vom F-Wort zum L-Wort

Kein anderer Künstler der vergangenen 25 Jahren hat die Fäkalsprache so ausgiebig als Waffe eingesetzt wie Serdar Somuncu. Insbesondere der Hassias, seine langjährige Bühnen-Persona, ging immer wieder bis an die Grenzen des Obszönen und des Vulgären; für ihn war das F-Wort ein Kampfschrei, mit dem er gegen Heuchelei und vermeintliche Werte vorging. „Fotze“, das war sein Aufbäumen gegen eine oft genug reale Zensur und zugleich sein Weg in die Köpfe der Menschen. Wer sich empört, so das Kalkül, der wird vielleicht ebenso hellhörig wie jene, die lachen und johlen – und beiden Gruppen kann Somuncu dann den Spiegel vorhalten und Liebe statt Hass predigen. Doch seine mitunter brachiale Sprache sowie seine oft unverhohlene Wut auf das politische und gesellschaftliche System haben ihm mehr als eine Anzeige und so manche Diskussion mit den Medien eingebracht. Davon hat Somuncu jetzt genug und beendet seine Bühnenkarriere. Zuvor war er aber noch einmal bei „Quatsch keine Oper“ und legt alles offen, seinen Schmerz, seinen Zorn – und seine Hoffnung.

In gewisser Weise ist „Seelenheil. Das vierte Reich“, wie Somuncu sein finales Programm betitelt hat, gleichzeitig eine resignierte Abrechnung als auch ein letztes Aufbäumen. Noch einmal stürmt, noch einmal, die verbale Keule in der Hand und mit ihr jegliche Verteidigung zu durchbrechen suchend, um – noch einmal – für mehr Empathie einzustehen und für Gerechtigkeit. Denn dass die Welt über beides nicht in ausreichendem Maße verfügt, ist offensichtlich, und auch, dass Somuncu das zutiefst verstört. „Wie kann es sein, dass wir als der Westen jahrhundertelang andere Länder ausgebeutet haben und wir jetzt, wo die Menschen von dort fliehen, nichts mehr von ihnen wissen wollen?“, fragt er und läutet damit einen der bewegendsten Momente des Abends ein. „Schließt bitte einmal die Augen und stellt euch vor, wie es ist, wenn draußen Bomben einschlagen, wenn man die Kinder aus Angst um ihre Leben nicht zur Schule schicken kann oder wenn man am Tag nichts hat außer einer Handvoll Reis.“ Und Europa? Schließt nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren.

Trotz dieser und anderer Probleme in der Welt will Somuncu aufhören, gezwungenermaßen, aus Selbstschutz. Er habe keine Lust mehr auf den ständigen Ärger, sagt er, auf die Zensur durch den WDR und andere Fernseh- und Rundfunk-Sender, auf die Hetze in den sozialen Medien und auf die ganzen Klagen (obwohl ihn der Versuch der AfD, ihn wegen Volksverhetzung zu belangen, tief im Inneren seines kabarettistischen Herzens freut). Zu viele Menschen scheitern offenbar daran zu unterscheiden, was er als Satiriker sagt und was er meint. So sieht es zumindest Somuncu, der allerdings selbst dazu beiträgt. So auch in Bonn: Als ein Mann aus dem Oberrang beim Thema Brexit anderer Meinung als Somuncu ist und dies auch klar artikuliert, fordert dieser in aggressivem Tonfall Belege und Argumente, kanzelt den Besucher aber schon nach ein paar Sekunden ab, beschimpft ihn und beklagt diese Störung seiner Kunst, obwohl er kurz zuvor noch explizit gefordert hat, nicht zu schweigen und der Meinung der anderen zu folgen. Das Publikum stellt sich auf Somuncus Seite, johlt und jubelt – und während dieser noch in einem Nebensatz seinen Ausbruch zu revidieren versucht, ist das eigentliche Thema schon wieder in Vergessenheit geraten.

Nicht immer wird Serdar Somuncu somit seinen eigenen Idealen gerecht, und nicht immer erscheint das Abrutschen ins Ordinäre gerechtfertigt oder notwendig. Andererseits lässt sich nicht leugnen, das der 55-Jährige die Menschen zum Zuhören bewegen kann – und wenn er dann mal ernst wird, über Geisteshaltungen spricht, über die Freiheit der Gedanken, die Bedeutung der Kultur und den Wunsch nach mehr Mitgefühl, dann wird es mucksmäuschenstill in der Oper, so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. In diesen Momenten formuliert Somuncu seine Utopie einer auch emotional aufgeklärten Welt, die aus der Liebe erwächst und auf der seine Hoffnung ruht. In diesen Momenten wirkt Somuncu so ungeheuer intensiv und ehrlich und verletzlich, und genau deswegen wird er auf den Kabarettbühnen fehlen. Wegen des L-Worts. Und nicht wegen des F-Worts.

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Kommentare: 3
  • #1

    Bernhard Ruhland (Montag, 18 Dezember 2023 12:31)

    Die letzte Vorstellung von Serdar Somuncu in Augsburg war grandios, nat. ist seine Fäkalsprache "bemerkenswert", doch wenn man ihn kennt, dann weiß man, dass sie zu seinem "künstlerischen Act" gehört. Der Mann hat viel zu sagen, schade, dass er sich jetzt zurück zieht...ein wirklich guter Kaberettist !

  • #2

    Lars (Montag, 18 Dezember 2023 16:06)

    Ich selbst mag Somuncu, vor allem durch die tiefgründigen Podcasts. Auf der Bühne ists dann doch etwas zu sehr Anbiedern ans dumme Publikum gewesen, das nur lacht sobald es "Fotze" hört", huhuhu

  • #3

    Thomas (Dienstag, 16 Januar 2024 12:02)

    Ja sehr schade das sich Somuncu zurückzieht. Ich kenne ihn schon lang als er noch äußerst aggressiv aufgetreten ist um Herauszustechen, aber hab ihn wirklich kennengelernt in den Podcasts in der blauen Stunde. Wir haben es immer Sonntags im Garten gehört, eine ideale Paarung zum wirklich intensiven Nachdenken zum gesprochenen Wort. Zu dritt mit Jürgen König und Bent war es eine ideale Konstellation, nicht zu übertreffen. Wahrscheinlich muss halt alles einmal enden, so ist es auch nun ebenfalls mit dem Garten geschehen. Also beides 2023 vorbei. Einzig bleibt, dass sich Somuncu nicht wirklich aus freien Stücken zurückzieht, sondern weil es ein Teil der Gesellschaft mit Druck geschafft hat, die Zensur spielt da mit rein vom WDR. Schade aber Somuncu wird in Jahren zurückkommen in einem anderen Format, da bin ich mir sicher. PS: Denke an die Podcast-Folge der blauen Stunde, wo sie das Schiffshebewerk besucht hatten...:D :D :D Selbst sowas bleibt unwiderruflich im Kopf von Somuncu. Danke Serdar.