Tim Fischer: Vom Furz zum Kuss

Verführerisch und aufrührerisch, verletzlich und bissig, mitternachtsschwarz und wolkenweiß: Wenn Tim Fischer singt, dann mit allen Facetten seiner Seele. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum es kaum einen besseren Interpreten für das Werk Georg Kreislers geben kann als den Ausnahme-Chansonnier, der ebenso gut zu schnarren wie zu betören vermag und der gerade deswegen die gesamte Bandbreite des Wiener Kabarettdichters abzudecken vermag. Die geht nämlich weit über die bitterbösen Satiren a la „Tauben vergiften im Park“ hinaus. Anlässlich des 100. Geburtstags Kreislers im vergangenen Jahr hat Tim Fischer dem „optimistischen Pessimisten“ nun mit „Tigerfest“ ein ganzes Programm gewidmet, mit dem er nun auch im nahezu ausverkauften Bonner Pantheon zu Gast war.

Natürlich erklingen an diesem Abend die Chansons und Couplets Kreislers, in denen Politik und Gesellschaft gleichermaßen parodiert und kritisiert werden, mit beißenden Versen, die wie Kugeln aus einem Maschinengewehr angeflogen kommen und immer ins Schwarze treffen. Es sind Texte wie der „Opern-Boogie“, die schon beim Lesen ein schier unglaubliches Tempo entwickeln und die Tim Fischer doch mit einer atemberaubenden Leichtigkeit in den Saal entlässt, spöttelnde Texte, krittelnde, tosende und messerscharfe, die Kriecher und Schleimer, Großkopferte und Stammtischschwätzende gleichermaßen aufs Korn nimmt. „Ich versteh nix von Jus und Latein. Mathematik, die lass ich lieber sein. Doch ich kriech sehr gut, und auch gern, Marsch, Marsch, Marsch - in den Arsch, in den Arsch, in den Arsch.“

Doch Kreisler war immer mehr als das, war nicht nur Wüterich und Grantler sondern auch Melancholiker und Romantiker. Tim Fischer, der in den letzten Lebensjahren Kreislers eine intensive Künstlerfreundschaft mit dem gebürtigen Österreicher pflegte, kennt auch diese Seiten, hat zu diesen sogar eine noch intensivere Beziehung als zu den anderen. Den Witz Kreislers beherrschen so manche Interpreten; sein Mitgefühl kann aber keiner so eindringlich vermitteln wie Tim Fischer, der vor allem die Liebeslieder mit einer Zerbrechlichkeit füllt, wie nur er sie in Töne fassen kann. Gleiches gilt für die zahlreichen Texte, die Kreisler aus weiblicher Perspektive geschrieben hat und die Fischer besonders nahe gehen. Während die erste Hälfte des Programms noch aus Männer-Liedern besteht, dreht sich dies nach der Pause. „Im zweiten Teil kann ich dann so sein, wie ich bin, und kann die Frauen-Lieder präsentierten, also die wunderbaren weichen Gefühle, die mir sehr vertraut sind – oder auch zur eifersüchtigen Furie werden“, hat Fischer dazu im Deutschlandfunk gesagt. Und hält, was er verspricht.

Tatsächlich wandelt sich das Konzert nach der Pause drastisch. Fischer, der mit langhaariger roter Perrücke und dazu passendem Glitzerkleid eine tolle Figur macht, verabschiedet sich so langsam von den Chansons und wechselt zum Schlager, der mit expressiverer Instrumentierung und stärkerer Fokussierung auf den Groove ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt. Kreisler hat denn auch für dieses Genre einige wunderbare Nummern geschrieben, die Tim Fischer sichtlich zu genießen scheint. Swingend fragt er Frau Zimmermann im gleichnamigen Lied um Rat, tanzt bei dem lasziven „Johnny“ mit Bassist Oliver Potratz (neben Pianist Sebastian Weiß und Vibraphonist Hauke Remken der dritte Begleitmusiker) und zeigt sich bei „Kunststück“ von seiner sinnlichen Seite. Großartig ist auch das fragile „Ich liebe dich“, das dank der Sensibilität und der Wehmut in Fischers Gesang zu einem der Höhepunkte des Abends wird. Das soll die Qualitäten der ersten Hälfte nicht in Abrede stellen – aber wo diese exzellent war, ist das Konzert nun überragend. Und aufregend, nicht zuletzt weil jetzt Seiten Kreislers gezeigt werden, die man sonst nur selten zu Gesicht und zu Gehör bekommt. Eine bessere Hommage kann man diesem Großmeister des gesprochenen und geschriebenen Worts, der im November 2011 im Alter von 89 Jahren verstarb, nicht widmen.

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