Etta Scollo: Vom Damals ins Jetzt

Die Stimme von Etta Scollo ist schon etwas Besonderes. Ein einzelnes Adjektiv reicht nicht aus, um sie zu beschreiben, dieses vielfältige und wandlungsfähige Organ, das mal verletzlich klingt und dann wieder protestierend, nicht unbedingt schön aber doch stets emotional. Es ist diese Bandbreite, die die Sizilianerin so faszinierend und so einzigartig macht, sie, die sich nicht mit Plattitüden zufrieden gibt, weder textlich noch musikalisch, sondern die sich den großen und den vergessenen Dichterinnen und Dichtern ihrer Heimat zuwendet, dem Literaturnobelpreisträger Salvatore Quasimodo etwa oder dem politisch engagierten Ignazio Buttitta oder der vermeintlich somnambulen Mariannina Coffa. Mit diesem anspruchsvollen Programm, das auf ihrem aktuellen Album „Ora“ basiert, ist Scollo in die Harmonie gekommen – und hat das Publikum mit ehrlicher Kunst begeistert.

Wie bei so vielen Künstlerinnen und Künstlern ist auch „Ora“ eine Verarbeitung der Pandemie, die alle „in eine musikalische Lethargie versetzt hat“, wie Scollo sagt. Doch während manch anderer lamentiert, bekräftigt die 65-Jährige das Jetzt und Hier. Nicht weniger bedeutet „Ora“. Gleichzeitig blickt sie aber zurück auf jene, die dem Sehnen nach Freiheit Ausdruck verliehen haben, seien es nun von ihren Männern unterdrückte Frauen wie bei Coffa oder von Maffiosi terrorisierte Städter wie bei Buttitta. Die von Scollo gewählten Gedichte – ihre eigenen ebenso wie die der großen Poeten – erhalten dabei genug Platz, um sich frei zu entfalten, die sparsam instrumentierte Musik tritt dabei fast in den Hintergrund.

Gitarre, Cello (Zoé Cartier), Akkordeon (Daniel Moheit) und Scollos Gesang, mehr braucht es live nicht; auf dem Album selbst kommen derweil weitaus mehr Instrumente zum Tragen. Dazwischen ebenso kurzweilige wie ausschweifende Moderationen, mal träumerisch, mal ernsthaft, meist augenzwinkernd. Auf Deutsch natürlich, damit auch jene, die des Italienischen (und insbesondere des sizilianischen Dialekts) nicht mächtig sind, zumindest einen kleinen Einblick in Scollos Werk erhalten. Für sie ist das kein Problem, schließlich wohnt sie schon seit Jahren in Berlin, und erzählen kann sie fast genau so gut wie singen. Nur als sie Brecht rezitiert, wirkt sie nicht authentisch, sondern bemüht, zumal auch das Cello auf einem hohen, für die Ohren anstrengenden Ton verharrt, um dem Text eine letztlich überflüssige Spannung mitzugeben – zum Glück geht dieser Moment aber vorbei und in eine Art Wiegenlied über, bei dem Scollo die beeindruckenden dunklen Tiefen ihrer Stimme auslotet und Cellistin Cartier wieder zu zaubern beginnt. Klasse.

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