OnAir: A-cappella im Größenwahn

Wenn schon a-cappella, dann aber richtig. Bombastisch, episch, megalomanisch. Ja, ein bisschen größenwahnsinnig sind OnAir tatsächlich immer schon gewesen, wenn auch in einem positivem Sinne, was das inzwischen zum Quartett geschrumpfte Berliner Vokalensemble auch selber zugibt. Mit kleinen scherzhaften Liedchen haben Jennifer Kothe, Marta Helmin, André Bachmann und Patrick Oliver ebenso wenig zu tun wie mit traditionellen Barbershop-Arrangements – nein, wenn OnAir singen, dann mit allem, was ihre Stimmen und die Tontechnik hergeben. Mit Erfolg, immerhin haben sie in den vergangenen zehn Jahren einige der renommiertesten Auszeichnungen im a-cappella-Bereich erhalten, darunter gleich zwei CARA-Awards der Contemporary A Cappella Society (und drei Nominierungen). Anlässlich ihres 10. Jubiläums haben OnAir jetzt ihre Lieblingsstücke zusammengesucht und in der Springmaus präsentiert, mit der üblichen Wucht, den bewährten Effekten und vier unglaublich starken Stimmen.

Ganz leicht haben es OnAir allerdings nicht: Mit dem Abgang von Kristofer Benn im Dezember vergangenen Jahres fehlt eine bis dahin wichtige Säule im Gesamtklang des Ensembles, und auch der verstärkte Einsatz einer Loop-Maschine kann diese Stimme nicht wirklich ersetzen, erst recht nicht bei den opulenten Arrangements, mit denen OnAir schon überall auf der Welt für Aufsehen gesorgt haben. Dennoch machen OnAir das Beste aus der Situation und sorgen mit Klassikern wie Massive Attacks „Teardrop“, Linkin Parks „Numb“ oder Katy Perrys „Chained To The Rhythm“ (angereichert um ein paar Pop-Zitate) beim Springmaus-Publikum für Jubelstürme. Klasse wie immer. Dagegen kann „Shackles“, ein Cover des Gospel-Duos Mary Mary, nicht so ganz überzeugen, wirkt die Nummer doch vor allem am Anfang nicht zusammen und am Ende zu schwammig. Und dann kommt „Stairway To Heaven“, „Man hat uns gesagt, dieses Lied könne man nicht a-cappella singen“, sagen OnAir. „Wir machen es trotzdem.“ Und ja, es geht – oder es würde gehen, wenn Led Zeppelins unsterbliche Hymne in der OnAir-Version von Anfang an jenen Drive gehabt hätte, den das Quartett ihr erst nach dem von Marta Helmin gesungenen Gitarren-Solo zugesteht.

Trotzdem tobt das Haus und will mehr. Und es kriegt mehr, vom christlich lobpreisenden „Oceans“ über die selbstgeschriebene Electro-Pop-Nummer „Abendsonne“ und Beyoncés „Halo“ samt starkem Solo von Beat-Boxer Patrick Oliver bis hin zum unglaublich komplexen Dua-Lipa-Cover „Swan Song“, das tatsächlich besser (weil weniger hektisch) als das Original ist. Muss man auch erst einmal schaffen. So arbeiten sich OnAir, die im Laufe des Abends immer redseliger werden, beständig in Richtung des großen Finales, für das es nur ein Stück geben kann, das dem „Größenwahn“ des Quartetts entspricht: „Music“. Ein Song, der nicht erst durch „Night of the Proms“ geradezu nach einem Orchester verlangt oder zumindest nach so vielen Instrumenten wie möglich. OnAir versuchen es mit vier Stimmen – und auch wenn Abstriche unvermeidlich sind, gelingt es ihnen am Ende, jenen Gänsehaut-Moment zu erzeugen, der dieses Lied ausmacht. Dafür gibt es stehende Ovationen. Und die Hoffnung auf zehn weitere Jahre.

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