Fanfare Ciocărlia: Schräge Vögel

Wenn die Lerchen zur Party bitten, wird es wild. Zumindest wenn es sich um rumänische Lerchen handelt, genauer gesagt um Fanfare Ciocărlia. Die Roma-Kapelle aus dem 400-Seelen-Dorf Zece Prăjini, die ein deutscher Toningenieur in den 90ern nach einem Sprung aus einem fahrenden Zug entdeckte und die die internationale Balkan-Beats-Szene nachhaltig prägen sollte, ist nun einmal das Paradebeispiel für Hochgeschwindigkeits-Musik beziehungsweise für Turbo-Brass, für ekstatische Blechbläser-Klänge und noch ekstatischere Rhythmen. Jetzt hat die elfköpfige Truppe in der Harmonie aufgespielt – und das Publikum innerhalb von Sekunden auf 180 gebracht.

27 Jahre ist es jetzt her, dass Henry Ernst auf Fanfare Ciocărlia (übersetzt in etwa „Lerchenband“) aufmerksam wurde, während er auf der Suche nach authentischen Roma-Sounds war. Es war eine dünne Spur, die ihn nach Zece Prăjini lockte, ein Gerücht über eine Band, die noch so gut wie gar nicht mit der westlichen Pop-Musik in Berührung gekommen war und die mit ihrer Leidenschaft jede Hochzeit bereicherte. Stattdessen stürzten sich die Hobby-Musiker – in erster Linie waren sie Bauern, die mit ihren schwieligen Händen keine Saiteninstrumente spielen konnten – in Volkstänze mit türkischen, bulgarischen, serbischen und mazedonischen Wurzeln, und was ihnen an Virtuosität fehlte, machten sie mit Geschwindigkeit wieder wett. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Natürlich sind die Mitglieder von Fanfare Ciocărlia souveräner und virtuoser geworden, seit sie rund um den Globus auftreten, doch noch immer sitzt nicht jeder Ton perfekt, ist die Intonation mehr Schein als Sein.

 

Doch erstaunlicherweise ist das egal: Wenn die Rumänen loslegen, gibt es einfach kein Halten mehr. Irgendwie gehören die leichten Dissonanzen einfach dazu, genauso wie der eigenwillig raue Gesang von Iulian Canaf, dessen Stimme doppelt so kratzig ist wie die von Tom Waits und die schon beim Opener „I Put A Spell On You“ jegliche Tonalität ignoriert. Für jeden anderen Sänger wäre dies ein Ausschlusskriterium – für Canaf mit seiner Prädsenz und seinem unbestreitbaren Charisma ist genau das sein Markenzeichen. Schließlich geht es um den Spirit, um den Geist der Musik, und den kennt Canaf bestens. Zudem bedeutet der Verzicht auf Intonation noch lange nicht, dass die Musiker nicht auch anders können. Wenn sie denn nur wollen. Vor allem Saxofonist Costel Oprică Ivancea stürzt sich immer wieder in waghalsige Soli, in denen er mit atemberaubenden Trillern in Dauerschleife das Tempo nur noch weiter steigert, und auch die beiden Trompeter setzen eindrucksvolle Akzente mit 180 Umdrehungen, während Hörner und Tubas von hinten Druck machen.

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Rund anderthalb Stunden heizen Fanfare Ciocărlia auf diese Weise der Menge in der Harmonie ein, lassen sie tanzen und toben, jubeln und johlen, während sich die Musiker die Seele aus dem Leib spielen. Dabei stellt die Band auch Titel ihres aktuellen Albums „It Wasn’t Hard To Love You“ vor, darunter die recht volkstümlich anmutende „Pannonicated Polka“ und den „Song for Noga“, bei dem klar wird, wie weit die Musiker inzwischen gekommen sind. Den größten Jubel gibt es aber für einen Klassiker: Die ungewöhnliche Cover-Version von „Born To Be Wild“, die Fanfare Ciocărlia einst zum Film „Borat“ beisteuerten und die ihren Stil perfekt zusammenfasst. Manchmal muss man einfach Gas geben. Wild sein. Und einfach spielen.

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