Placebo: Heiß-kalte Ersatzdroge

Es ist für eine Band gar nicht so einfach, ihren größten Hits zu entkommen. Sie können noch so innovativ sein, die Fans werden doch immer die selben Stücke hören wollen – und sich diesem Wunsch zu verweigern, ist ein ziemliches Wagnis. Placebo sind dies nun ganz bewusst eingegangen und haben bei ihrem Konzert auf dem Bonner KunstRasen auf etliche Klassiker verzichtet, nicht zuletzt auf „Every You Every Me“, das wohl berühmteste Stück der Band. Vor 25 Jahren erschien das dazugehörige Album „Without You I’m Nothing“, man könnte insofern also von einem Jubiläum sprechen. Aber Molko und sein langjähriger Bühnenpartner Stefan Olsdal wollen offenbar nicht in der Vergangenheit schwelgen, sondern nach vorne blicken. Und so widmen sich Placebo eben in erster Linie der aktuellen Platte „Never Let Me Go“. Pech für die rund 8000 Fans, die extra in die Bundesstadt gekommen sind und die sich zumindest zum Teil auf Klassiker wie „Nancy Boy“ oder „The Bitter End“ gefreut haben. Gut, letzteres wird dann doch noch kommen. Immerhin. Das muss reichen.

Tatsächlich haben sich Placebo nie etwas aus Erwartungen gemacht, oder aus Konformismus. In einer Zeit, in der gefälliger Britpop den Ton in der Musik angab, galt insbesondere der bisexuelle Molko als ein Gegenpart zu dem Macho-Gehabe der Gallagher-Brüder, indem er mit dem Androgynen liebäugelte und sich nicht auf die Beatles oder The Kinks bezog, sondern auf seinen Mentor David Bowie und auf Boy George, auf das Grelle und das Glamouröse also, das er und seine Band mit etlichen Schichten aggressiv wabernder Gitarrensounds und zahlreichen Synthi-Effekten unterlegten. Dazwischen schlängelten sich eingängige Melodielinien, getragen von einer nölenden Stimme, die sich aus dem lärmenden Hintergrundrauschen herausschält und auf seltsame Weise berührt. Daran hat sich im Grunde bis heute nichts geändert. Bis auf den Zeitgeist. Und so wirkt Molko fast schon bieder, wie er da auf der KunstRasen-Bühne steht mit den langen Haaren, dem Schnäuzer und den Kajalumrandeten Augen (fast wie eine Mischung aus Rudolf Mooshammer und Johnny Depp), während die Songs von „Never Let Me Go“ nahezu ohne Pause aus den Boxen schallen. Dazu wirft sich Olsdal dann in regelmäßigen Abständen in bemühte Rocker-Posen, die man ihm nicht so wirklich abnimmt, die aber beim Publikum gut ankommen.

 

Mehr können die Fans von Placebo allerdings nicht erwarten. Ein paar warme Worte zur Begrüßung, die üblichen Floskeln, das war’s dann aber auch mit Interaktionen zwischen Band und Menge. Erstere bleibt vielmehr geschützt von der unsichtbaren vierten Wand in ihrer eigenen Welt und in ihrer Musik, die sie aus der Dunkelheit menschlicher Emotionen heraufbeschwört. Professionell, keine Frage, aber auch seltsam distanziert, eher introvertiert denn extrovertiert. Dabei kann man Placebo sicherlich vieles vorwerfen, ein Mangel an klaren politischen und gesellschaftskritischen Statements gehört aber definitiv nicht dazu. Zuletzt hat sich Molko damit allerdings auch mächtig Ärger eingehandelt: Nachdem er bei einem Konzert in der Nähe von Turin die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni als Faschistin und Rassistin beschimpft hat, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen „öffentlicher Beleidigung der Republik“. Vielleicht hält er sich in Bonn gerade deshalb zurück, obwohl das extrem rechte Spektrum auch hierzulande wieder nach der Macht schielt. Zumindest auf persönlicher Ebene hätte aber mehr kommen können. Das Publikum hätte sich sicherlich gefreut, statt nach rund 90 Minuten nicht etwa mit „Every You Every Me“, sondern mit zwei Cover-Songs verabschiedet zu werden. Schade.

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