Macht und Trunkenheit, Liebe und Wahn, Freiheit und Unterdrückung: All das sind essentielle Motive in Shakespeares Klassiker „Der Sturm“, jenem so offenen und gerade deshalb so populären Spätwerk des Barden von Avon, das sich bis heute einer eindeutigen Lesart verweigert. Jetzt hat sich der Bonner Schauspieldirektor Jens Groß eigenhändig des Stoffes angenommen und es für das Theater Bonn in ein Familienstück umgewandelt, das all die genannten Elemente berührt und dennoch ein leichter Spaß bleiben will. Was erstaunlicherweise funktioniert, ohne allzu sehr auf Überzeichnungen und Albernheiten zurückgreifen zu müssen. Möglich machen dies herrlich schräge Kostüme und ein starkes Ensemble, das vor allem in den Nebenrollen zu glänzen versteht.
Die Handlung des Stücks ist schnell erzählt. Prospero (Cornelius Schwalm), der einst Herzog von Mailand war und von seinem machthungrigen Bruder Antonio (Bernd Braun) sowie von Alonsa (Lydia
Stäubli), der Königin von Neapel, gestürzt wurde, hat die vergangenen zwölf Jahre zusammen mit seiner Tochter Miranda (Lena Geyer) auf einer abgelegenen Insel überlebt. Der Zauberer herrscht dort
mit harter Hand unter anderem über den Luftgeist Ariel (Christoph Gummert) und das Ungeheuer Caliban (Annika Schilling). Als durch einen Zufall Alonsas Schiff vorbeifährt, lässt Prospero es durch
einen heraufbeschworenen Sturm kentern und beauftragt Ariel, die Schiffbrüchigen auf der Insel umherirren zu lassen. Die Königin sucht zusammen mit Antonio nach ihrem Sohn Ferdinand (Alois
Reinhardt), der derweil auf Miranda trifft – die beiden verlieben sich augenblicklich aufeinander. Derweil lernt der Trunkenbold Trinculo (Jonas Schlagowsky) Caliban kennen, der ihn bedrängt,
Prospero zu töten und ihn auf diese Weise von der Herrschaft des Tyrannen zu befreien. Allerdings hört Ariel unsichtbar mit und warnt seinen Herrn und Meister, der im Hintergrund die Fäden zieht
und seine ganz eigene Strategie verfolgt.
Obwohl Groß explizit auch jüngeres Publikum ansprechen will, bleibt er zumindest sprachlich in weiten Teilen ein Traditionalist und greift ganz bewusst zu der antiquierten, aber immer noch
herausragenden Schlegelschen Übersetzung. Allerdings scheut er auch nicht den Bruch und lässt vor allem das liebestrunkene Paar Miranda und Ferdinand immer wieder moderne Anspielungen in ihre
Szenen einbauen: Erstere will unter anderem Meeresbiologin werden und emanzipiert sich dadurch kurzerhand von dem viktorianischen Frauenbild, letzterer setzt beim Werben um die Hand seiner
Geliebten auch auf eine kleine Breakdance-Einlage. Mitunter mutiert das Spiel von Lena Geyer und Alois Reinhardt durch derartige Eingriffe sowie durch andere Tollheiten und Tollereien allerdings
zur Farce, in der für ein paar Lacher alles erlaubt zu sein scheint; zum Glück sind die beiden Darsteller auf der erfreulich reduzierten Bühne (der Großteil des Stückes spielt auf einem
geschlossenen Buch in Übergröße) aber so gelöst, dass sie die Balance stets wieder herstellen können. Dagegen erweist sich Cornelius Schwalm als Enttäuschung: Sein Prospero wirkt weder mächtig
noch mysteriös, weder rachsüchtig noch liebevoll, sondern einfach nur steif und platt. Dadurch verliert das Stück enorm an Dynamik, ist doch der Zauberer der Motor der Handlung, er, der im Herzen
des Sturms sitzt und sich als großer Puppenspieler inszeniert.
Doch wo Schatten ist, ist auch Licht. Annika Schilling ist als Caliban eine Offenbarung, diabolisch und verzweifelt zugleich, ein animalisches Hybridwesen, das gurrt und wütet, faucht und knurrt
und das doch bei all seiner Verschlagenheit unweigerlich Mitleid erweckt. In Kombination mit Jonas Schlagowskys Trinculo, dem sowohl der Alkohol als auch der Größenwahn zu Kopf steigen, kann
Schilling alle Facetten ihrer Figur herausspielen. Ein Genuss. Ähnliches gilt für Christoph Gummert, der seinen Ariel mit einer gehörigen Portion Puck anreichert und der zudem die schönsten
Bühneneffekte dirigieren kann. Dazu gehören auch die auftretenden Kobolde und Geisterwesen in ihren grandiosen Outfits (Kostüme: Nini von Selzam) – allerdings sind diese auch der Grund, weshalb
das gut 100-minütige Stück für kleine Kinder ein bisschen zu viel sein könnte. Teenager dürften aber ebenso wie Erwachsene trotz kleinerer Schwächen ihre Freude an „Der Sturm“ haben.
Termine: 11. - 13.12., 18. - 20.12., 8.1., 11 Uhr, Sonntags 16 Uhr; außerdem 26.12., 18 Uhr. Alle Aufführungen finden im Schauspielhaus Bad Godesberg statt. Karten erhalten sie an allen bekannten
Vorverkaufsstellen.
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