„paradies.spielen“: Die Katastrophe ist unausweichlich

Am Ende wird nichts bleiben. Keine Spur der Menschen. Oder der Erde. In sechs Milliarden Jahren wird die Sonne, aufgebläht zu einem Roten Riesen, den gesamten Planeten entweder rösten oder verschlingen, vermutlich beides. Der Homo Sapiens wird dann schon nicht mehr auf der Erde wandeln können, entweder weil er längst geflohen oder sich selbst zu Grunde gerichtet hat, und all die abgestürzten Flugzeuge, gesunkenen Schiffe und abgetrennten Puppenköpfe in den Weltmeeren werden sich ebenfalls längst in ihre Atome aufgelöst haben. Klingt dramatisch, aber sechs Milliarden Jahre sind immerhin noch eine Perspektive. Wenn der Mensch nur so lange durchhält. Stattdessen sitzt er gerade im selbstgebauten ICE nach Nirgendwo, in einem Zug ohne Fahrer und ohne Notbremse. Keine guten Vorzeichen, unter denen Thomas Köcks „paradies spielen“ steht. Jetzt hat das Theater Rampös dieses Stück in der Brotfabrik inszeniert.

Sonderlich lebensbejahend ist „paradies spielen“ nicht. Alle Figuren sind auf die ein oder andere Weise verloren, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Wert. Letzteres muss vor allem ein chinesisches Schneider-Pärchen realisieren, dass aus der batterieverseuchten Heimat in ein besseres Leben zu flüchten versucht. Drei Wochen im Zug, quer durch die chinesischen Provinzen und über Russland bis nach Italien, in der Hoffnung auf die Chance, Mensch zu sein und nicht nur eine Arbeitskraft. Stattdessen erwartet sie eine Enklave mit einer Fabrik, die sie nicht verlassen dürfen, in einem Land, das sie nicht haben will, bevölkert von Menschen, die sie nicht verstehen. Freiheit sieht anders aus. Freiheit, das ist das was die Waren haben, die rund um die Welt geschickt werden, mit Labels a la „Made in Italy“ – und das ist nichts für die kleinen Rädchen im Getriebe der riesigen Menschenfresser-Maschine namens Wirtschaft. Doch auch die Bürgerinnen und Bürger des Westens sind gefangen, in permanenter Hektik, in den eigenen Vorstellungen und Filterblasen, in der Misanthropie und in einem Zug, der jeden Bahnhof ignoriert. Bis dieser durch irgendeinen seltsamen Wink des Schicksals genau in jenes Hotelzimmer kracht, in dem die chinesische Schneiderin nach der Flucht aus der italienischen Fabrik auf ihren Geliebten wartet. Endlich, ein Halt. Bringt nur nichts, da die diabolisch-dämonische Kontrolleurin eingreift und alle Überlebenden erschießt. Ein Happy End ist schließlich nicht vorgesehen. Die Katastrophe ist eben unausweichlich.

In den vergangenen Jahren hat das Theater Rampös sich immer wieder mit existenzialistischen Stoffen auseinandergesetzt, zuletzt mit dem apokalyptischen „Bevor wir gehen“. Doch selten zuvor hat das Ensemble (und insbesondere Mascha Rauschenbach und Fabio Sorgini als die beiden namenlosen Schneider) so körperlich gespielt, so konsequent und zugleich so abstrakt. Immerhin ist keine der Figuren wirklich greifbar – und doch geben die Laien-Schauspielerinnen und -Schauspieler alles, um ihre Rollen plastisch zu machen, ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus oder tanzen, einer fast schon artistischen Choreographie folgend, um- und miteinander. Im Hintergrund schlingt sich eine dystopische Poetin (Barbara Wegener) gar mehrfach um eine Poledance-Stange, und das angesichts ihres gleichzeitig gesprochenen Texts mit erstaunlich viel Spannung. Respekt. Ohnehin hat sich das Ensemble den herausfordernden Text Köcks überaus souverän erschlossen und ihn in eine Form gegossen, die für das Publikum erfreulich leicht zugänglich ist. Eine starke Leistung, die bei der Premiere denn auch mit stehenden Ovationen belohnt wurde.

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