„Zerbombt“: Geschlechter im Krieg

Schwanzgesteuert und gewaltbereit, ohne Empathie und dafür voller Machtfantasien: Männer kommen in Sarah Kanes umstrittenem Drama „Zerbombt“ nicht gut weg. Die 1999 verstorbene britische Schriftstellerin, die auf die Radikalität der Sprache setzte und im Namen der Kunst jedes Tabu zu brechen bereit war, lässt in ihrem Erstlingswerk den todkranken, narzisstischen Ian, der in einem Hotelzimmer gerade erst seine junge Geliebte Kate vergewaltigt hat, auf einen namenlosen Soldaten treffen, der zu jeder nur denkbaren Gräueltat bereit ist und es genießt, sein Gegenüber zu demütigen, zu verstümmeln und zu brechen. Warum? Weil er es kann. Und weil er lieber Täter als Opfer ist. Dieses Stück hat das Theater Bonn nun auf die Werkstatt-Bühne gebracht – und dabei eine brutale, aber zugleich noch relativ zahme Inszenierung geschaffen.

Trotz seiner extremen Bilder steht „Zerbombt“ derzeit bei zahlreichen Theatern auf dem Spielplan, da die dunkelsten Aspekte der Menschheit, die nicht zuletzt durch die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine wieder in den Blick geraten sind, in nur wenigen Stücken deutlicher gezeigt werden. Denn ja, es herrscht Krieg im Stück, auch wenn dies in der Bonner Inszenierung ein wenig unter den Teppich gekehrt wird. In dieser besonderen Situation sind Menschenliebe und Menschenwürde nichts mehr wert, und wer überleben will, muss seine eigenen Prinzipien über Bord werfen. Im Euro Theater Central, das „Zerbombt“ bereits Anfang Juli in den Spielplan aufgenommen hat, wird diese Setzung konsequent ausformuliert, so dass schon das heruntergekommene Zimmer einem Schlachtfeld gleicht. Am Theater Bonn wählt Regisseurin Charlotte Sprenger dagegen einen anderen Ansatz: Ihr geht es weniger um die Umstände als vielmehr um das Zwischenmenschliche, weniger um Gewalt und mehr um Liebe. Kane habe „nicht im mindesten die Absicht“ besessen, „reale Gewalt durch ästhetische Verdopplung zu verstärken“, zitiert das Programmheft die Literaturwissenschaftlerin Frauke Meyer-Gosau. Vielmehr habe sie durch die Steigerung „so etwas wie einen Schreckens-, Wut- und Hilfeschrei“ ausgestoßen, während sie gleichzeitig an der Liebe festgehalten habe. Doch genau die ist im Stück ja nur ein leeres Wort. Zwar beteuert Ian (Sören Wunderlich) immer wieder seine Liebe zu Kate (Julia Kathinka Philippi), doch dient dies letztlich nur dazu, seine eigenen Gelüste zu befriedigen. Sie ist ein Vorwand, ebenso wie der Soldat (Christian Czeremnych) die Ermordung seiner Freundin durch feindliche Kräfte als Rechtfertigung für seine eigenen monströsen Taten nutzt. Die Liebe ist tot in dieser apokalyptischen Welt, ebenso wie die Hoffnung. Und daran kann auch Charlotte Sprenger nichts ändern.

Dabei versucht die Regisseurin durchaus, den Fokus von der Hilflosigkeit der Charaktere wegzulenken. Viele der Szenen finden nur verschwommen statt, verdeckt durch einen Lamellen-Vorhang aus Kunststoff, der auch in einem Schlachthaus nicht fehl am Platze wäre. Ians Vergewaltigung von Kate bleibt somit ebenso diffus wie seine durch den Soldaten, der ihm schließlich auch noch die Augen herausreißt und sie isst. Dafür wird das Spiel von Lust und Begierde zwischen Ian und Kate vor dem Vorhang gezeigt, zumindest bis die Dynamik der beiden kippt, weil ersterer als Geblendeter von letzterer abhängig ist – und weiterhin die Liebe instrumentalisiert, um zu bekommen, was er will. Was allerdings nicht länger funktioniert. Die zunehmende Verzweiflung Ians, der am Ende sogar ein totes Baby anknabbert, arbeitet Sören Wunderlich dabei souverän heraus, während Julia Kathinka Philippi ihre Kate als kindliche Figur ausgestaltet, die gerne mal durch den Raum tanzt und den Schrecken des Krieges überraschend unberührt gegenübersteht. Tod und Gewalt scheint sie nicht zu schrecken; ganz im Gegenteil springt sie am Ende des etwa 100-minütigen Stücks als erste wild durch den Raum, bevor der tote Soldat und der blinde Ian ihr in einer Art Revue Gesellschaft leisten. Dieser irritierende Abschluss, der „Zerbombt“ gewissermaßen zur Farce werden lässt, ist denn auch der schwächste Moment einer Inszenierung, die Sarah Kanes unerbittlicher Sprache vielleicht nicht immer gerecht wird, die aber doch einige durchaus reizvolle Lesarten bietet und sich vor allem von der sehr bedrückenden Version im Euro Theater Central abhebt.

Termine: 2.11., 9.11., 1.12., 21.12., jeweils 20 Uhr in der Werkstatt-Bühne des Theater Bonn. Das Stück ist erst ab 18 Jahren freigegeben. Karten erhalten Sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen.

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