Gerhard Polt & die Well-Brüder: Menschenbild mit Alphorn

Wenn irgendetwas schief läuft, will keiner es gewesen sein. Konzernchefs oder Politiker, Lobbyisten oder Funktionäre, sie alle waren beteiligt, aber verbockt haben sie nichts, selbst wenn sie mit der Hand im Klo oder in der Portokasse erwischt werden. Also her mit den Bonuszahlungen, und danach ist eh alles egal. Dabei wäre es für die Öffentlichkeit oft so wichtig, einen Verantwortlichen benennen zu können, einen, den man verdammen kann, so eine Art von Sündenbock. Seltsam, dass noch niemand daraus eine Geschäftsidee gemacht hat. Bis auf Gerhard Polt. Der Grandseigneur der bayrischen Kabarettszene und auch diesseits des Weißwurst-Äquators eine lebende Legende, hat da schon konkrete Vorschläge, wie so eine Schilda Response GmbH aussehen könnte. Zusammen mit seinen langjährigen Weggefährten, den Gebrüdern Well, hat er sein Konzept jetzt im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Quatsch keine Oper“ in Bonn präsentiert.

Polt und die Well-Brüder (normalerweise drei von insgesamt 15 Geschwistern; Christoph „Stofferl“ Well liegt allerdings diesmal mit Corona im Bett und lässt sich durch seinen Neffen Matthias vertreten) verbindet eine lange Geschichte. Seit nunmehr vier Jahrzehnten treten er und die drei Musiker gemeinsam auf und sezieren die deutsche oder mitunter auch nur die bairische Lebensweise, den dörflichen Kleingeist und die religiöse Verstocktheit. Irgendwer muss es ja machen, und nur wenige sind dafür besser geeignet als die Vier: Polt, der mit 80 Jahren immer noch einer der besten Satiriker des Landes ist, keineswegs leiser, sondern höchstens feinsinniger; und die Wells, die die volkstümlichen Traditionen ihrer Heimat mit scharfzüngiger Kritik zu vereinen wissen. Ihre politischen und gesellschaftskritischen Gstanzl treffen immer wieder ins Schwarze – insbesondere eine liturgische „Lesung aus dem Buche Bayern“ mitsamt der Botschaft des unheiligen Markus sorgt beim dialekterfahrenen Publikum für Begeisterung. Dazu spielt Matthias mal ganz traditionell und mal eher eigenwillig auf der Geige, und zwar so virtuos, dass Vater Michael und Onkel Karl mit ihrem Füllhorn an Instrumenten samt Drehleiher und Alphorn kaum hinterherkommen.

Derweil widmet sich Polt seinen liebsten Opfern, abgesehen von den CSU-Granden: Den Stammtisch-Schwätzern und den ewig Gestrigen, den Nachbarn unter uns und den Schwarz- und Weißkitteln über uns. Er mimt den Grantler und Misanthropen, gefangen in einer Reihenhaussiedlung zwischen einem Cretin zur Linken und einem Akademiker zur Rechten; den erzkonservativen Geistlichen aus Indien, der eine Rechristianisierung des Freistaats anstrebt; und einen Tiroler Chefchirurgen, der die ausgefallenen Ski-Saisons der vergangenen zwei Jahre beklagt, die dadurch geschrumpften Unfallstatistiken und zu allem Überfluss auch noch den Patientenraub durch den ADAC. Genüsslich spiegelt er die ihm so verhassten Wesenszüge, führt katholischen Missionierungswahn ebenso vor wie das Geschäft mit der Gesundheit und die an Geld-Diarrhö erinnernde Verschwendung von Staatsmilliarden. Aber gut, für letzteres gibt es ja die bereits genannte Schilda Response GmbH. Die macht das schon, und alle anderen können sich ihre Hände in Unschuld waschen. Das ist typisch bayrisch und zugleich ganz großes Kabarett, für das Polt – ebenso wie die Well-Brüder – am Ende den verdienten Applaus erhält.

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