
Wo soll das alles nur hinführen? All der Hass, all der Zorn, all die Gewalt auf der Welt, die sich in Kriegen entlädt, in Wahlsiegen von Rechtsradikalen und Faschisten oder einfach nur in bösartigen Kommentaren – was soll daraus noch erwachsen? Eine Antwort kann und will Serdar Somuncu nicht geben, dazu ist er nicht in die Reihe „Quatsch keine Oper“ nach Bonn gekommen. „Es ist nicht Aufgabe der Kunst, Ergebnisse zu liefern“, betont der 54-Jährige, zumal die Probleme dieser Welt viel zu komplex sind, um sie mit ein paar Sätzen zu lösen, egal, wie provokant diese sein mögen. Aber Anregungen geben, Ideen und Ideale wecken und vor allem Haltung zeigen, das kann Somuncu tun. Was man dann damit anfängt, muss jeder selbst entscheiden. „Stellen Sie meine Aussagen ruhig in Frage“, sagt Somuncu. „Aber lassen Sie sich zuerst auf meine Position ein.“ Selbst wenn die mitunter weh tut.
Schmerzfrei ist Serdar Somuncu schon seit langem, wenn es um seine Kunst geht. Er ist ein Provokateur aus Leidenschaft, einer, der die Öffentlichkeit immer wieder herausfordert und sie dazu
zwingen will, sich mit all dem auseinanderzusetzen, was sonst kurzerhand in den kollektiven Giftschrank gesperrt wird. Etwa mit „Mein Kampf“, mit dem Somuncu in den 90ern auf Lesereise gegangen
ist. Oder mit kritischen Aussagen zum Ukrainekrieg, die zwar Putin nicht von seinen Taten freisprechen, dem Westen aber auch eine gewisse Schuld zuweisen. Die imperialistischen Züge der USA in
Vietnam und Korea, die Hybris Europas – da muss man sich doch fragen, welche Werte derzeit nicht etwa am Hindukusch, sondern am Donbass verteidigt werden. Menschlichkeit? Die, mit der wir
flüchtende Ukrainer mit offenen Armen willkommen heißen, während wir gleichzeitig Tausende aus Afrika übers Mittelmeer zurückschicken? Mitgefühl? Das wir angesichts des Leids im Osten verspüren,
das wir aber ausblenden, wenn die Boko Haram in Nigeria mal wieder ein Massaker anrichtet oder Mädchen aus den Schulen entführt? Wie können wir entsetzt sein angesichts der von Russland
verschleppten Menschen aber unberührt von den Zwangsarbeitern in Katar? Zu was für Menschen macht das uns? Fragen über Fragen. Und Somuncu? Wirft als Antwort das Licht auf die dunkelsten Seiten
der Gesellschaft.
Tatsächlich liebt der Kabarettist das Spiel mit Extremen. Wenn er den Hassias herauslässt, der sich an Vulgarität aufgeilt und die Misanthropie zum Lebensprinzip erhebt, wenn er stänkert und
geifert und wütet und tobt und auf diese Weise dem Hass ein Gesicht gibt, der sich in dieser Form millionenfach im Internet findet und der doch auf der Bühne noch einmal abstoßender wirkt, dann
geht Somuncu ganz bewusst bis an die Grenzen des Erträglichen und darüber hinaus. Und wird dafür bejubelt. Was nachdenklich machen sollte. Zumal nicht auszuschließen ist, dass der ein oder andere
Kommentar ein verstecktes Hitler-Zitat ist – genau das hat Somuncu eigenen Angaben zufolge schon in einer Fernseh-Sendung gemacht. Er instrumentalisiert und okkupiert das Repertoire der Rechten,
macht es zum Bestandteil seiner Satire und entzieht ihm dadurch seine Macht, so das Kalkül. Ob das aufgeht, muss jeder für sich selbst beantworten.
In Bonn inszeniert sich Somuncu aber nicht nur als freiwilliger Täter im Dienst der Kunst, sondern zugleich als Opfer der Medien. Er beklagt massive Zensur und Kritik seitens der
öffentlich-rechtlichen Sender, fühlt sich bei der Vergabe von Auszeichnungen wie dem Grimme-Preis ignoriert und von so manchen Kollegen enttäuscht und verraten. Und hinter allem steckt die
Bild-Zeitung mit ihrem riesigen Netzwerk, vermutet zumindest Somuncu. Diese persönliche Abrechnung steht ihm nicht sonderlich gut zu Gesicht, auch wenn so mancher Frust durchaus verständlich ist.
Doch eigentlich hat der 54-Jährige solche Bemerkungen gar nicht nötig. Dafür ist er einfach zu gut. Als Kabarettist, aber auch als Mensch. Denn eigentlich will er ja nur Frieden. „Ich weiß nicht,
ob ich euch heute versprechen kann, dass alles gut wird“, sagt Somuncu mit Tränen in den Augen. „Ich kann euch nur raten, auf das Gute zu vertrauen.“
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