Urban Priol: Infiniter Krisenmodus

Immer schön langsam mit den jungen Pferden. Nur nicht hetzen – Lösungen fallen nicht einfach so vom Himmel. Und schließlich muss man ja auf viele Randgruppen Rücksicht nehmen. Zumindest, sofern sie wählen dürfen und laut genug tönen, um die Politiker in ihrer Lethargie aufzurütteln und ihnen Forderungen zu stellen. Etwa wenn es um Maskenpflicht in Flugzeugen (gestrichen), in Fernverkehrszügen (verpflichtend) oder in Regionalbahnen (mal so, mal so) geht. Was für ein Hin und Her, es ist zum Haare raufen. Urban Priol kann davon ein Liedchen singen. Doch zum Schutz seines Hauptes leiser werden kommt für den Ehrenpreisträger des Prix Pantheon 2022 nicht in Frage.

Ganz im Gegenteil: Gerade jetzt, in volatilen Zeiten, im Angesicht von Krankheit und Krieg und zunehmenden Schildbürgerstreichen, ist Satire wichtiger denn je. Also legt Priol los, so wie seit 40 Jahren, mit scharfen Spitzen gegen die Mächtigen und einem noch schärferen Blick auf alles drum herum. Jetzt hat der Mann mit der Sturmfrisur gleich dreimal hintereinander im Haus der Springmaus gespielt.

 

Natürlich arbeitet Priol sich an den üblichen Verdächtigen ab, an Söder und Scheuer und Amthor und Lindner, kurzum an allen Konservativen und Liberalen, die sich nicht umgehend tot stellen. Selbst Angela Merkel, 16 Jahre lang seine unbewegliche Nemesis, lässt Priol nicht so einfach los. Warum auch? Immerhin hat sie die Abhängigkeit von russischem Gas forciert und die Solarpanel-Pflicht auf Hausdächern blockiert, rechnet Priol vor – zumindest ein Teil der heutigen Misere geht also auf sie zurück. Und auf die Bayern, die der Rheinfranke schon qua Geburt als Erzfeinde ansieht und die beim Klimastammtisch doch tatsächlich den Schutz der Schweinswale als Argument gegen Windkraft anführen. Wenn die sich irgendwann aus der Ostsee erheben und über die Rhön in Richtung Alpen fliegen, will man sich schließlich nicht vorwerfen lassen, die unvermeidbaren Kollisionen zwischen den schweren Säugern und den scharfen Propellern nicht bedacht zu haben.

Allerdings bemüht sich Priol an anderer Stelle durchaus, eine differenzierte Kritik zu äußern. So nimmt er etwa Annalena Baerbock durchaus vor so mancher Medienschelte in Schutz, ebenso wie Olaf Scholz und Robert Habeck, denen ihr zögerliches Agieren vorgeworfen wird. „Ehrlich gesagt ist mir das derzeit fast lieber als die Hau-Drauf-Mentalität der Opposition“, sagt Priol, der durchaus auch sein Hühnchen mit dem SPD-Kanzler und dessen rot-grünen Kollegen zu rupfen hat. Nur stellt er sich eben instinktiv vor jeden und jede, der oder die von den Kräften rechts der Mitte attackiert werden, inklusive der jungen Leute. „Die muss man auch mal vor den Alten schützen“, fordert er – obwohl die mitunter progressiver sind als die jungen Generationen, etwa indem sie zu den Sex Pistols und den Stones abrocken und nicht zu Andrea Berg oder Helene Fischer. Von Philipp Amthor hätte er das erwartet. Von normalen Menschen eher nicht.

Gleichzeitig übt er Kritik an einer Gesellschaft, die so manches Fehlverhalten einfach zulässt wenn nicht gar befürwortet.  Er gräbt tiefer, legt den schon in der Antike gepflegten und gesellschaftlich abgenickten Sexismus und Folterlust von Zeus als erstem Machtmenschen des europäischen Abendlandes offen, setzt sich mit der aus dem Ruder laufenden Befindlichkeitsdebatte um kulturelle Aneignung auseinander und verzweifelt an Impfunwilligen sowie den langsamen Gesundheitsämtern, denen das Wochenende heiliger zu sein scheint als die Erkrankten, all das auf einem erfreulich hohen und zugleich sehr zugänglichen Niveau. Der 61-Jährige ist schlichtweg in Höchstform – und versucht sich allen Erfahrungen der vergangenen Dekaden zum Trotz weiterhin als Optimist. Irgendwann kommen wir ja vielleicht doch einmal aus diesem Krisenmodus heraus, sagt er. Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es wünschenswert. Und für Priol? Der ist sich sicher, dass er auch dann noch gebraucht wird. Irgendwas kommt schließlich immer.

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