Kraftwerk: Die Mensch-Maschinen

Die Roboter kommen. Sie sind an diesem Abend die zentralen Akteure, sie, die Avatare der wohl wirkmächtigsten Pioniere elektronischer Musik, ikonisch in roten Oberteilen und blauen Hosen. Während die menschlichen Körper von Kraftwerk nahezu regungslos auf ihren ikonischen Keyboard-Podesten verharren und sich als Mensch-Maschinen ganz der Symbiose von Kunst und Künstlichkeit verschrieben haben, sind ihre Alter Egos auf der gigantischen Projektionsfläche in ihrem Rücken etwas bewegungsfreudiger. Und doch sind auch sie nur Rädchen im Getriebe einer bis ins kleinste Detail durchkonzipierten und optimierten Show in 3D, die auf dem Hofgarten 25.000 Besucher für rund zwei Stunden völlig in ihren Bann zieht.

Die Faszination von Kraftwerk ist in gewisser Weise zeitlos, auch wenn der Ursprung für selbige sich deutlich gewandelt hat. Längst ist das Quartett um Gründungsmitglied und Mastermind Ralf Hütter kein Synonym mehr für Futurismus und Innovation, hat sich die Welt doch schneller gewandelt als selbst Kraftwerk es einst vorwegnahmen. Heutzutage ist die Band sowohl akustisch als auch ästhetisch eher retro, eine Erinnerung an jene Zeit, als Computer noch in den Kinderschuhen steckten und Alexa oder Siri eher ins Reich der Science Fiction gehörten als auf den heimischen Wohnzimmertisch. Der elektronische Minimalismus der Band, die mit „Die Roboter“ oder „Autobahn“ in den 70ern Maßstäbe setzten und den Weg für Depeche Mode, Ultravox und Daft Punk bereiteten (vom Techno als Musikrichtung ganz zu schweigen), ist längst nicht mehr revolutionär, sondern verfügt im Gegenteil über eine ähnlich anachronistische Patina wie die Daleks aus der britischen Serie "Dr. Who" – und doch lässt sich nicht leugnen, dass das Bonner Konzert für viele ein ganz besonderes Erlebnis sein dürfte. Zumindest für jene, die einen Platz im vorderen Teil des Geländes ergattert haben und die Show nicht nur akustisch, sondern auch visuell genießen können. Diese ist immerhin die Konsequenz eines rigorosen Optimierungsprozesses, eine Vision von Musik und Klang als Ergebnis mathematischer Reproduktion und Wiederholung, ein hypnotisches Gesamtkunstwerk aus Licht und Ton, aus Sequenzen und aus jenen besonderen Momenten, in denen ein neues Element seinen Platz in dem großen Gefüge einnimmt und dieses dadurch transformiert. Kraftwerk zeichnen 3D-Muster in den Nachthimmel, während Bässe wummern und Synthesizer akustische Flächen schaffen, Projektoren malen scheinbar zum Greifen nahe Zahlen über den Hofgarten, exzellente Soundtechnik generiert bei "Autobahn" einen 3D-Sound, und das Publikum steht verzaubert da, weiße 3D-Brillen auf Nasen über von Staunen offenen Mündern. Ja, Kraftwerk mag nicht mehr so inspirierend sein wie früher, aber Maßstäbe setzen kann das Quartett noch immer. Wenn man denn was von der Bühne sehen kann.

Natürlich holen Kraftwerk für dieses einzige Deutschland-Konzert ihrer Tour all ihre großen Hits aus dem Schrank, von „Das Modell“ über das von Coldplay aufgegriffene „Neonlicht“ bis hin zu den schon mehrfach erwähnten "Robotern". Es sind jene Momente, in denen die Nostalgie am größten ist, in denen sich so mancher zurückerinnert an die ersten Begegnungen mit einer Gruppe, die hinter ihrer eigenen Technik beinahe unsichtbar wurde und die doch neue Universen in Hip Hop, Pop und anderen Reichen der Musik eröffnete. Und zugleich wird dabei klar, warum Kraftwerk auch nach einem halben Jahrhundert noch Legendenstatus haben und vielleicht nicht länger musikalisch, wohl aber konzeptionell weiterhin gerne zitiert werden. Insofern ist es kein Wunder, dass Kraftwerk im vergangenen Jahr als erste deutsche Band überhaupt in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurden. Das haben sich die Menschen hinter den Robotern redlich verdient.

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