Männer sind eigentlich arm dran, findet Stefanie Sargnagel. Oder zumindest manche Teile von ihnen. Vor allem die Hoden erinnern die frisch gekürte Jurypreisträgerin des Prix Pantheon 2022 an „schutzbedürftige alte Pflaumen“, mit denen man nicht zu hart ins Gericht gehen darf. Immerhin. Diese Worte des Mitleids sind allerdings Ausnahmen bei dem renommierten 28. Kabarett-Wettbewerb – denn in diesem Jahr setzen die Frauen die Themen. Und die sind abseits des männlichen Gemächts eher an anderer Stelle zu finden. Ja, auch am weiblichen Körper, zumindest zum Teil, denn die eigenen Reize wissen einige der Teilnehmerinnen durchaus zu schätzen. Vor allem aber geht es ihnen um Sexismus in der Fahrschule und um feministische Lösungen, um die Überhöhung von Vätern und die Benachteiligung von Müttern, um vermeintliche Vorbilder aus Disney-Filmen, um die Libido und um Helene Fischer. Wichtige, aber auch überaus unterhaltsame Debattenbeiträge; und die von Sargnagel sind – jenseits von Pflaumenbildern – die mit Abstand geschliffensten, analytischsten und bissigsten.
Sargnagel ist wie schon Lisa Eckhart eine Vertreterin des mitternachtsschwarzen österreichischen Kabaretts, jener zynischen, bitterbösen Kunstform in der Tradition Georg Kreislers, der sich in diesem Fall auch die literarischen Kunstgriffe eines Thomas Bernhard hinzugesellen. Genüsslich spielt sie mit Dingen, die man angeblich nicht in den Mund nehmen sollte, erweist sich aber auch als scharfsinnige Analytikerin, die dank ihres Talents für Sprache den Finger nicht nur auf die Wunden legt, sondern ihn vielmehr tief ins Fleisch bohrt. Ihre Texte, die oft so harmlos beginnen und dann schnell ins Bösartige oder Unanständige kippen, sind ohne Frage brillant und kommen sowohl beim Publikum als auch bei der Fachjury um Pantheon-Chef Rainer Pause und Kabarett-Mutter Gerburg Jahnke so gut an, dass ihr der Sieg in dem zweitägigen Satire-Wettstreit kaum zu nehmen ist.
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Einer, der allerdings ganz nah dran kommt, ist Alex Stoldt. Nicht, weil er sich als ähnlich wortgewandt erweist wie Sargnagel, sondern eher, weil er das gar nicht nötig hat. Wenn der 23-Jährige
auf die Bühne kommt, zieht er sein Publikum kurzerhand in eine Kabarett-Version von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und verfügt als einziger über die Macht, den Zyklus der Wiederholungen zu
durchbrechen. Was er auch bereitwillig macht. Irgendwann. Und dann? Fängt das Spiel von vorne an. Und die Menge macht mit. Mal wieder. Immerhin spielt Stoldt so geschickt mit den Erwartungen,
dass er schon in der Vorrunde zum Publikumsliebling avanciert und sich auch am zweiten Tag den Sieg nicht nehmen lässt. Dabei ist das Mitbewerberfeld eigentlich erstaunlich dicht. Vor allem
Robert Alan, der mit seinen Witz-Miniaturen über Hammerhaie über Hüpfburg-Türsteher ein wenig an die frühen Auftritte Jan Philipp Zymnys erinnert (dieser war übrigens ebenso wie Dave Davis und
Sarah Bosetti beim von Comedienne Tahnee souverän moderierten Prix-Pantheon-Finale zu Gast), kann mit seinen Absurditäten punkten, während Julia Brandner und Luisa Charlotte Schulz, die am
ersten Tag mit ihren Ausführungen zum Sexismus durchaus überzeugen, im Finale mit Werbungs-Fetischismus und Trennungsgeschichten den Anschluss verlieren. Für Florian Wintels, der sich als
pfiffiger Liedermacher erweist und zugleich seine Qualitäten als Poetry Slammer nicht ausspielt, den Niederländer Patrick Nederkoorn sowie für Lara Ermer und Tutty Tran reicht es derweil
nicht.
Bleibt noch der Ehrenpreis „Reif & Bekloppt“, der in diesem Jahr an niemand geringeren als Urban Priol geht, den Schrecken aller Coiffeure und unerbittlichen Gegenspieler der Herrschenden,
der sich an Helmut Kohl ebenso abreagiert hat wie an Gerhard Schröder und Angela Merkel und der Tatenlosigkeit ebenso verachtet wie Machtmissbrauch. Er, „der grundgute Knöttersack mit dem
riesigen Herzen“ und der messerscharfen Zunge, wie Wilfried Schmickler in seiner umjubelten Laudatio ausführt, wird auch nach 40 Bühnenjahren nicht zur Ruhe kommen. Dafür gibt es noch viel zu
viele, die der Unterfranke mit der Sturmfrisur vor sich herjagen und sie in die Waden beißen muss. Das bedeutet Kabarett.
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