Der KunstRasen ist voll. Richtig voll. Rund 10.000 Menschen sind an diesem letzten Konzerttag der Open-Air-Saison in die Bonner Rheinauen gekommen – einen derartigen Andrang hat es zuletzt bei Sting gegeben. Und jetzt eben bei Roland Kaiser. Der Grandseigneur des deutschen Schlagers schafft es irgendwie immer wieder aufs Neue, die Säle und Plätze zu füllen und die Massen zu vereinen. Bei ihm sind sie alle vertreten, die Seniorinnen und Senioren, die Familienväter und -mütter, die Studierenden, die Jugendlichen, alle mit nur einem Ziel vor Augen: Kaisermania. Zweieinhalb Stunden, in denen die Welt noch in Ordnung ist, in denen man das Gehirn auf Durchzug schaltet und sich zu schwülstigen, schmalzigen Retortenliedern im Takt wiegt. Wer das nicht kann, ist an diesem sonnigen Abend am falschen Ort. Selber schuld, dürften die Fans wahrscheinlich sagen; an der Musik wird es auf jeden Fall nicht liegen, denn so viele Menschen können nicht irren. Oder doch?
Keine Frage, Roland Kaiser ist schon eine beeindruckende Erscheinung. Ein Mann in feinstem Zwirn, gediegen, distinguiert, das perfekte Bild eines Gentlemans. Und dann diese Stimme, dieses sonore Organ, volltönend, kraftvoll, auf dem Punkt. Nie würde man vermuten, dass der 70-Jährige 2010 eine Lungentransplantation hatte und sich das Singen für seine Comeback-Tour erst wieder antrainieren musste. Seitdem, so sagen manche Fans, ist der Kaiser nur noch besser geworden. Auf jeden Fall rockiger, weil er ja jetzt auch einen E-Gitarristen in der Band hat. Doch genau das ist das Problem: Musik wird nicht moderner, indem man einfach ein paar Instrumente austauscht. Und so wirken die meisten Songs denn auch altbacken in Harmonik, Melodik und Intonation, zusammengeschustert aus erprobten Versatzstücken des Schlager-Baukastens und dann ergänzt um . Was das Publikum überhaupt nicht stört. Ganz im Gegenteil lässt es sich willig in die kollektive Glückseligkeit führen, tanzt, schunkelt, strahlt und jubelt, während Kaiser den Reigen immer tiefer in die Untiefen des Schlagers führt. Seine erfolgreichste Single „Santa Maria“, bei der Kaiser eigenen Angaben zufolge die Romantik ganz bewusst auf die Spitze getrieben hat, ist da nur der Anfang – mit „Lieb mich noch ein letztes Mal“ geht er auf jeden Fall deutlich weiter.
Dabei ist Roland Kaiser nicht ohne Selbstironie. Nach der Eröffnung mit „Let me entertain you“ (in Kombination mit „Kurios“) soll es erst so richtig losgehen, verspricht der Herr des Schlagers,
wackelt ein paar Mal mit seinem Hintern und stürzt sich begierig auf sein Repertoire, das durchaus die ein oder andere Anzüglichkeit enthält, die man im Schlager nur selten so geschickt verpackt
findet. Dazu tigert der Kaiser über die Bühne, gestützt von seiner Band, die für ihn längst zu einer zweiten Familie geworden ist, und packt ein Liebeslied nach dem anderen aus. Dazwischen finden
sich aber erfreulicherweise auch ein paar Lieder, in denen Kaiser Haltung zeigt, so wie bei „Zuversicht“ samt seines Aufrufs zu Dialog statt zu Gewalt. „Wir haben gerade erst eine große
Herausforderung hinter uns gebracht und stehen bereits vor neuen“, sagt er dazu. Dagegen müsse man zusammenstehen. Und auf die Liebe bauen, die er so gerne besingt.
Mit diesem Konzert endet die inzwischen 10. Ausgabe des KunstRasens, die unter ganz besonderen Vorzeichen stand. Auf manche Künstler wartete das Publikum immerhin seit drei Jahren, und es spricht
für Veranstalter Ernst Ludwig Hartz, dass er alles versucht hat, um diese auch präsentieren zu können. In diesem Jahr hat dann endlich alles gepasst, sogar das Wetter. Dennoch blicken Hartz und
sein Kollege Martin Nötzel mit einer gewissen Skepsis in die Zukunft. Immerhin sind die Kosten für Personal, Energie und Logistik zuletzt drastisch gestiegen, während die Menschen immer noch sehr
zurückhaltend beim Kauf neuer Tickets sind. Das hat zuletzt auch Katie Melua zu spüren bekommen: Ihr Konzert wurde unter anderem wegen der schlechten Auslastung kurzerhand ins Brückenforum
verlegt. Bleibt zu hoffen, dass dieser Zustand nicht bleibt – denn jedes abgesagte Konzert ist gerade im Moment eines zu viel.
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