Wincent Weiss: Irgendwas mit W

Sommer, Sonne, Sonnenschein und Wincent Weiss: Für die vorwiegend weiblichen Besucher des KunstRasens braucht es nicht mehr für einen schönen Abend. Eingängige Melodien, wahlweise Oh-oh-oh-Mitsingpassagen oder alternativ schlichte Reime, Lieder über die Liebe und das Leben, ist doch alles wunderbar. Und all das von einem sympathischen, nahbaren, authentischen Künstler, der vor allem mit den Songs seines aktuellen Albums "vielleicht irgendwann" mehr als nur unterhalten möchte, der eine Botschaft hat - und das Charisma, um sie zu verbreiten.

Seit seinem letzten Besuch auf dem KunstRasen ist Wincent Weiss gereift, in mehr als nur einer Hinsicht. Er sieht fitter aus als je zuvor und auch selbstbewusster, ein Künstler, der weiß, was er will. Ganz hat er das Herz des Mainstream-Pop-Sumpfs noch nicht hinter sich gelassen, jener Ödnis aus Plattitüden, kollektivem Jodeln und Standard-Harmoniefolgen, aber zumindest hat er sich auf den Weg gemacht und wächst vor allem live über sich hinaus. Bei "Wo die Liebe hinfällt" und "Weck mich nicht auf" wird zumindest in der wuchtigen Instrumentierung klar, dass Weiss tatsächlich mit System of a Down, Papa Roach und Linkin Park aufgewachsen ist, Bands also, die ihre Emotionen roh und und gefiltert in die Welt hinaus schreien. Mehr davon bitte - auch gesanglich.

Leider bleibt Wincent Weiss vor allem textlich immer noch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Zu gut hat der bisherige Ansatz funktioniert, hat ihm einen kometenhaften Aufstieg in Richtung des deutschen Pop-Olymps ermöglicht. „Vielleicht irgendwann“ stieg 2021 auf Platz 1 der deutschen Charts ein, die Fans liegen im wie hier in Bonn zu Füßen und das Corona-Virus hat sein hässliches Haupt in die Schatten gesenkt, so dass er endlich wieder bei strahlendem Sonnenschein ins Publikum klettern und live von seinen Gefühlen singen kann. Reicht doch. Oder?

Offenbar nicht. Zum Glück. Der neue Sound ist schwerer, kantiger, eigenwilliger; melancholische Trap-Drums tropfen bei „Winter" von der Bühne, an anderer Stelle dürfen die E-Gitarren es richtig krachen lassen. Andererseits will er es sich mit seinen treuen Fans auch nicht verscherzen. Und die wollen nun einmal Pop pur, voller Herzschmerz und Glitzerbilder, Feuerwerk und Musik, die nicht aneckt. Also kriegen sie genau das, diese typischen Balladen mit mindestens einem W im Titel („Wer wenn nicht wir“, „Was machst du nur mit mir“, „Weck mich nicht auf“) – aber gemischt mit Stücken, die Weiss zumindest ansatzweise von dem sonst so typischen Deutsch-Pop-Einheitsbrei abheben. Was schon mal ein Anfang ist. Wenn es Weiss jetzt noch gelingt, keine Kalendersprüche mehr in seine Lieder einzubauen, wäre bereits viel gewonnen.

Das Publikum genießt das Konzert in all seinen Facetten auf jeden Fall in vollen Zügen. Natürlich singt es ausgelassen die großen Hits mit, vom Opener „Musik sein“ bis hin zum „Feuerwerk“ (samt entsprechender Pyrotechnik), natürlich jubelt es Weiss euphorisch zu, und natürlich heißt es ihn bei „Hier mit dir“ in seiner Mitte willkommen. Da ist er ja wieder, der liebe Wincent, bei dem alles gut und toll ist, der mit den Menschen lacht und scherzt, der sie ansingt und mitsingen lässt, der Zitate aus dem Poesiealbum in seine Texte einbaut und der doch mehr könnte. Und auch will. Wenn man ihn nur ließe. Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert. Vielleicht irgendwann.

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