Im „Café des Artistes“ ist alles möglich. Na gut, vieles. Mal verbiegt sich eine junge Frau balancierend auf einem Stehtisch, dann wieder sucht ein Sprechkünstler die Poesie beim Toilettengang; mal erzählt schlichtes Schattentheater eine Geschichte mit extrem dünner Handlung, dann wieder begeistert ein Cyr-Artist mit einer technisch perfekten Choreographie auf höchstem Niveau; und mal zeigt ein sich verrenkender Magier recht kleinteilige Tricks, bevor ein Duo mit einer Katapultwippe unters Hallendach geschleudert wird. Die aktuelle Ausgabe des Varietéspektakels, das traditionsgemäß nach der Sommerpause die neue Pantheon-Spielzeit einläutet, erweist sich bei der Premiere als artistische Wundertüte mit einigen Überraschungen – und mit verschenktem Potenzial.
Seit der ersten Auflage des Varietéspektakels im Jahr 2005 hat Initiator Stephan Masur Wert darauf gelegt, den beteiligten Artistinnen und Artisten die größtmöglichen Freiheiten zu gewähren und sich aus der Gestaltung der einzelnen Nummern herauszuhalten. Wichtiger ist ihm, das Publikum zu verblüffen und Künstler zu präsentieren, in die das Publikum sich verlieben kann. In „Café des Artistes“ geht dieser Plan zumindest bei Yevhenii Dehtiarov auf, der mit seinem Single Wheel (Cyr) die mit Abstand stärkste Nummer des Abends darbietet, poetisch in seiner Bildsprache, eindringlich in seiner Verknüpfung von Musik und Artistik. Der Ukrainer beherrscht sein Sportgerät sogar mit verbundenen Augen, was von wahrer Meisterschaft zeugt. Doch auch dem jungen Maxim Voronin fliegen die Herzen der Zuschauer zu, während er die Equilibristin Anastasiia Popsulys für sich zu gewinnen versucht, mit seinen kleinen Zaubereien aber immer wieder scheitert. Wie ein roter Faden ziehen sich diese Szenen durch die zweite Hälfte; warum dieses Spiel aber nicht schon früher angefangen hat, bleibt ein Rätsel, zumal die verschiedenen Ensemble-Szenen mit und um Voronin herum einen ganz besonderen Charme besitzen. Die Einzeldarbietungen des 18-Jährigen, in denen er Magie und Diabolo- beziehungsweise Kontorsions-Kunststücke zu verbinden versucht, können dagegen nur bedingt überzeugen.
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Es sind derartige Unstimmigkeiten in der Gesamtkonzeption, die „Café des Artistes“ einen unfertigen Charakter verleihen, zumal Moderator Karl-Heinz Helmschrot vieles macht, nur nicht moderieren.
Der 56-Jährige, der einst als Künstlerischer Leiter des GOP zahlreiche Akzente setzte und für die neue Varietélandschaft in Deutschland prägend war, erweist sich als veritabler Dichter,
Gitarrist, Clown und Jongleur mit Schirm, Charme und Melone; eine Struktur gibt er der Show jedoch nicht. Das ist schade, bleiben so doch manche Nummern im luftleeren Raum hängen, etwa der etwas
blutarme Einrad-Striptease von Anna Abrams oder die spektakuläre Schleuderbrett-Akrobatik des Duos „Up and Down“, das dafür in den Zuschauerraum ausweichen muss, um bei ihren Sprüngen nicht mit
den Scheinwerfern zu kollidieren. Diese Flexibilität in der Raumnutzung ist jedoch wiederum eine der großen Stärken des Varietéspektakels – und des Pantheons.
Derartige Momente sind es denn auch, die „Café des Artistes“ durchaus sehenswert machen. Ja, es ist noch Luft nach oben, doch langweilig ist die gut zweistündige Show immerhin zu keinem
Zeitpunkt. Vielmehr vermag sie sogar bei einer Tradition zu überraschen: Die Seifenblasen-Kunst von Stephan Masur, der auch als Jongleur eine gute Figur macht, ist eigentlich fester Bestandteil
eines jeden Varietéspektakels, war aber noch nie so klar und vor allem so verblüffend wie jetzt, spätestens wenn eine vorsichtig mit Gas gefüllte Seifenblase langsam abbrennt. Dafür braucht es
dann auch keine Handlung mehr.
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