„Neo“: Lobhudelei auf die Bundesstadt

Alles neu, alles super: Die GOP-Show „Neo“ verspricht schon im Namen nicht weniger als artistische Innovationen auf höchstem Niveau und Nummern, die man so noch nie zuvor gesehen hat. Kennt man ja; dererlei Superlative werden in Pressemitteilungen immer wieder gerne bemüht. Doch in diesem Fall sind das keine leeren Versprechungen. Was einige der auftretenden Künstler, die jetzt bis zum September in Bonn gastieren, auf die Bühne bringen, ist tatsächlich atemberaubend, kreativ und weltweit einzigartig, ein herrliches Spektakel, das Maßstäbe setzen kann. Wenn nur der Rahmen stimmen würde. Denn ausgerechnet diese herausragenden Leistungen sind in das steife Korsett eines klassischen Nummern-Varietés gequetscht worden, mit langatmigen Moderationen, die keinen echten Spannungsaufbau ermöglichen und den Akrobaten nicht wirklich gerecht werden.

Dabei kann der Moderator  in diesem Fall noch nicht mal etwas dafür. Martin Quilitz ist schließlich ein charmanter Herr, dem man die Leidenschaft für die Darbietungen der anderen Künstler durchaus anmerkt. Kein Wunder, ist er doch schon seit inzwischen 30 Jahren in diesem Metier unterwegs. Entspannt plaudert er aus dem Nähkästchen und verzichtet weitgehend auf banale Gags, in denen zum Beispiel Musiktitel mit Körperfunktionen in Verbindung gebracht werden. Stattdessen schmiert er den Bonnerinnen und Bonnern kontinuierlich Honig ums Maul, appelliert an den Lokalpatriotismus in der „City of Gold“ und setzt auf die rheinische Mentalität, zumal er mit Musiker Holger Diefendahl einen echt kölnischen Sidekick an seiner Seite weiß. Leider ziehen sich die Moderationen auf diese Weise in die Länge, vor allem dann, wenn der gemütliche Diefendahl sich als Mentalmagier versucht oder eine Hymne auf die Domstadt singt. Das ist ganz nett gemeint, aber schlichtweg zu viel, da die beiden auf diese Weise gefühlt genau so viel Zeit auf der kahlen Bühne verbringen wie alle Artisten zusammen. Und um letztere geht es doch.

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Diese unglaublichen Menschen sind auch der Grund, warum sich ein Besuch von „Neo“ trotz der unpassenden Konzeption und eines leider furchtbaren Lichtdesigns dennoch lohnt. Wann hat man sonst schon die Möglichkeit, einen sechsfachen Jojo-Weltmeister in Aktion zu erleben? Der Japaner Shu Takada wirbelt denn auch mit einem oder später zwei dieser Spielzeuge durch die Gegend und kreiert Figuren, die man gerade mit einem Jojo kaum für möglich gehalten hätte. Gleiches gilt für das Duo One Line: Wie sich Adrian Schulte-Zweckel und Jannis Nau die Doppelkegel zuwerfen oder diese mit ihren Handstöcken einfach aus der Luft fangen, wie sie umeinander und miteinander arbeiten, all das ist brillant und meisterhaft in Szene gesetzt. Stark ist aber auch die Stabjonglage von Amélie Bolduc, die ihre Kunst aus dem amerikanischen Twirling abgeleitet hat. Dazu kommen Nummern, die an sich nicht neu sind, wohl aber neu entdeckt und interpretiert werden. So lässt sich Sylphie Currin nur an ihren Haaren aufhängen und schwebt so mit freien Armen und Beinen durch die Luft, während die Togni Brothers sich den Ikarischen Spielen widmen, bei denen ein Untermann seinen Partner mit den Füßen in die Luft katapultiert. Bei der Premiere gab es dabei allerdings einen kleinen Unfall, der zu einem kurzen Stopp des Programms führte, sich zum Glück aber als harmlos herausstellte.

Die herausragendste Nummer von „Neo“ zeigt jedoch die Australierin Erin Skye an den Strapaten: Sie übersetzt die Bildsprache des zeitgenössischen Tanzes in ihre Luftakrobatik, kombiniert dies mit einer Mischung aus Klangkonstrukten sowie einer hypnotisch-bedrohlicher Erzählstimme und bricht auf diese Weise gleich mehrere Konventionen. Damit irritiert sie das Publikum, das nicht mehr weiß, ob und wenn ja wann es klatschen darf, erweist sich aber auch als Visionärin ihrer Kunst und wird dafür am Ende völlig zu Recht gefeiert. Alleine schon ihretwegen ist „Neo“ sehenswert.

„Neo“ ist noch bis zum 4. September von Donnerstag bis Sonntag im GOP Bonn zu sehen. Eintrittskarten sind ab 39 Euro an allen bekannten Vorverkaufsstellen verfügbar; während der gesamten Sommerferien erhalten Kinder zudem freien Eintritt, wenn sie von einem regulär zahlenden Erwachsenen begleitet werden. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.variete.de/bonn.

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