Der Mensch ist ein Monster. Nicht immer, zugegeben: Manchmal kann er etwas wirklich Wunderbares schaffen. Aber genauso gut kann er zerstören, vernichten, auslöschen, morden, vergewaltigen und brandschatzen, und spätestens nach einem Besuch von Sarah Kanes Drama „Zerbombt“ hat man eine Vorstellung davon, was das bedeutet. Das Stück, das das Euro Theater Central aktuell inszeniert, ist alles andere als schön, keine entspannte Unterhaltung, kein Genuss, kein Spaß. Es ist furchtbar, ekelhaft, brutal. Und doch wichtig, gerade in der heutigen Zeit. „Wir müssen uns einfach gewissen gesellschaftlichen Fragen stellen, wenn wir verhindern wollen, dass die Welt so wird, wie das Stück sie zeigt“, erklärt ETC-Intendantin Ulrike Fischer. „Diese intensive, unmittelbare Art des Diskurses vermag nur das Theater einzuleiten.“
Dieser Aufgabe hat sich das Euro Theater Central seit jeher gestellt, und auch im neuen Domizil in der Budapester Straße geht es das Wagnis ein, das Publikum zu schockieren – was bei „Zerbombt“
beinahe unausweichlich ist. Nicht ohne Grund ist das für seine Radikalität bekannte Stück nicht unumstritten und gilt als bewusste Provokation. Was sicherlich stimmt. Wenn sich dadurch jedoch ein
Diskurs eröffnen lässt, hat sich der Ansatz bereits gelohnt. Und angesichts der gemeldeten Kriegsverbrechen russischer Militärs in der Ukraine zeigt sich ohnehin, dass die Fiktion gar nicht
so weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Die Bildsprache des Stücks ist auf jeden Fall gnadenlos, zumal die Aufführungsrechte mit der Verpflichtung einhergehen, keine einzige Zeile zu
streichen. Im Mittelpunkt steht der todkranke Journalist Ian, der in einem Hotelzimmer seine ehemalige Geliebte Cate begehrt und sie letztlich vergewaltigt, weil er ihr „Nein“ nicht akzeptieren
will. Kurz darauf wird Ian selbst durch eine Woge sardonischen Karmas von einem Soldaten überfallen, der ihm alle Grausamkeiten des Krieges schildert, mit Verstümmelung und Folter und Mord und
Nekrophilie prahlt, sich an seinem neuesten Opfer vergeht, ihm die Augen aussaugt und sich letztlich das Leben nimmt, um dem Teufelskreis der Schulds zu entkommen. Ian, der nichts zu verlieren
hat und sich dennoch mit aller Kraft an seine Existenz klammert, bleibt hingegen geblendet und geschändet zurück – und schreckt in seinem geschwächten Zustand noch nicht einmal davor zurück, ein
totes Baby zu essen, um sein Leben zumindest um ein paar Tage zu verlängern.
Es sind Szenen wie diese, die unter die Haut gehen und die durch die Nähe des Publikums zur Bühne weitaus intensiver wirken als die meisten Horror-Szenen gängiger Splatter-Filme. Dabei hat sich
Regisseur Richard Hucke noch zurückgehalten, setzt auf Minimalismus statt auf Überzeichnung, verzichtet auf Kunstblut-Exzesse und vertraut ganz auf die Überzeugungskraft seiner Schauspieler. Eine
gute Entscheidung. Zwar braucht Tomasso Tessitori ein paar Minuten, um sich seiner Rolle als Ian ganz zu überlassen und dem rassistischen, misogynen Charakter nach und nach immer mehr Kontur zu
verleihen, kann aber letztlich überzeugen. „Ich bin nicht so schlimm wie alles andere, oder?“, fragt er am Ende, Cate um Vergebung anflehend. Nein, ist er nicht. Aber er hätte es werden können,
hätte zu jenem Soldaten mutieren können, den Josa Butschkau so unerbittlich spielt, einem sadistischen Halbstarken mit einem Todesgott-Komplex, der sich mit seinen Untaten brüstet und doch selbst
das erste Opfer war. Und die Dritte im Bunde? Celia Abraham spielt die Cate zunächst mit einer gewissen Kindlichkeit und Keuschheit, nur um diese Attribute später als Handelsware zu nutzen, um
auf diese Weise nach einem apokalyptischen Putsch noch etwas zu Essen zu ergattern. Insgesamt eine starke Leistung, die maßgeblich für den Schrecken des Stücks verantwortlich ist. Ist das schön?
Nein. Aber gut. Gewarnt werden muss allerdings vor dem mehrfachen Einsatz von Stroboskoplicht. Außerdem ist das Stück aufgrund der Brutalität der Handlung erst ab 18 Jahren freigegeben.
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