„Kassia“: Auf der Suche nach der gefrorenen Zeit

Kassia war allem Anschein nach schon eine bemerkenswerte, starke und selbstbewusste Frau. Die Dichterin, Komponistin und byzantinische Äbtissin lebte im 9. Jahrhundert in Konstantinopel und kann heutzutage als eine Art ur-feministisches Vorbild gedeutet werden, nicht zuletzt weil sie mit der Aussage des damals herrschenden Kaisers Theophilos, dass alles Schlechte von der Frau komme, nicht einverstanden war und diesem bei einer Brautwerbung eine entsprechende Replik gab. Jetzt haben sich das Kainkollektiv und das von Burak Özdemir geleitete Barockorchester Musica Sequenza dieser Geschichte angenommen und sie als performative Oper neu erzählt. Jetzt war die Produktion zu Gast im Theater im Ballsaal.

Die Ansprüche des Ensembles sind dabei hoch. Özdemir hat Kassias musikalisches Œuvre in einer Neu-Komposition verarbeitet und mit den Möglichkeiten der elektronischen Musik erweitert, während Tänzerin Catherin Jodoin, Schauspielerin Amal Omran und die kleine Emine Schmuck der Handlung Form geben. Was allerdings nicht immer klappt. Die abstrakte, mitunter willkürlich wirkende Choreographie, dank derer Jodoin regelmäßig über die Bühne zappelt und sich in grotesken Verrenkungen verliert, erschließt sich zumindest nicht, selbst wenn ein Auge kontinuierlich auf einen von zwei Bildschirmen gerichtet ist, auf denen man die Erzählung lesen kann. Und das sollte man, bleiben doch ohne diese Texte fast ausschließlich Fragen und keine Antworten. Schade, zumal ansonsten alles stimmig ist: Die mitunter fast schon minimalistische Musik ist effektiv, der Gesang von Sopranistin Diana Ramirez brillant und frei von den sonst so beliebten Koloraturen, und das Spiel von Amal Omran in ihrer Intensität schlicht atemberaubend.

Die Historie rund um Kassia ist allerdings nur ein Aspekt der Aufführung, eingebettet in eine eher philosophische Diskussion um die Möglichkeit einer Gegenwart, jenes winzigen, unmessbaren Moments, der schon vergangen ist, wenn man an ihn denkt. Dazu kommen ein theologischer Exkurs zu Eva und dem Sündenfall, der als politische Verschwörung interpretiert wird, sowie eine Liste des Hasses. All diese Akzente erweitern die Performance, überfrachten sie aber mitunter auch. Das Schicksal der Kassia, die gegen so manche klassischen Rollenbilder aufbegehrte und mit der sich so viele Frauen heutzutage identifizieren können, droht so in den Hintergrund geschoben zu werden und wird nur durch Amal Omrans Präsenz auf der Bühne gehalten. Das ist auch gut so, denn obwohl die Inszenierung die ein oder andere Schwäche aufweist, bleibt doch das Ensemble und dadurch letztlich Kassia in Erinnerung.

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