Genie und Wahnsinn liegen ja bekanntlich eng beieinander. Ist das ein Klischee? Vielleicht. Aber nach einem Abend mit Stimmkünstlerin Maria João und Tastenmagier Tigran Hamasyan ist es schwer, in dieser Aussage nicht zumindest einen Funken Wahrheit zu erkennen. Was diese beiden Ausnahmemusiker mit ihren Trios im Rahmen des Jazzfests im Post Tower präsentiert haben, ist ebenso brillant wie verrückt, radikal eigenwillig und in mehr als einer Hinsicht irre. João und Hamasyan bewegen sich in ihren eigenen Sphären, von der Musik berauscht – und doch nicht so weit entrückt, dass sie sämtliche Regeln und Muster über Bord geworfen haben. Aus diesem Spannungsfeld zwischen bewusstem Erfindungsreichtum und losgelöster Ekstase entstehen Klänge, die verblüffen und überraschen, begeistern und euphorisieren. Zumindest wenn man dieser Art des Jazz gegenüber offen ist.
Schon Maria Joãos Auftritt ist eine Klasse für sich. Die 65-Jährige ist in ihrem Habitus so schräg und exzentrisch wie die knapp zehn Jahre jüngere Björk, eine kichernde Künstlerin mit kindlicher Stimme und einem Kostüm, das ein wenig an ein Prinzessinenkleid erinnert. Sie schnattert und schreit, fiept und brummelt, rappt und jodelt, mühelos die höchsten Lagen erreichend und sich gleich darauf in die Tiefen des Alt stürzend. Sie ist ein menschlicher Synthesizer, die wie ein Honigkuchenpferd grinst und die Musik als eine riesige Spielwiese ansieht, ihre Spielwiese, in der alles erlaubt und zwei mal drei eben doch vier ist. „Ich bin ein Papagei ohne Vokabular“, singt sie gleich zu Beginn, und doch imitiert sie nicht nur, was ihr Keyboarder João Farinha und Drummer Silvan Strauß ihr anbieten, sondern geht ihre eigenen Wege. So entstehen Klanguniversen irgendwo zwischen futuristischem Synthi-Pop, orientalischem Zitherspiel, fantastischem R 'n' B und ganz viel Maria João. Diese Frau kann wirklich alles singen, sonoren Soul ebenso wie skurrile Lautmalereien, und dennoch – und das ist die eigentliche Überraschung – wirkt João dabei nie gekünstelt, sondern immer sie selbst. Das Publikum liebt die charmante Sängerin auf jeden Fall und applaudiert so lange, bis sie noch eine Zugabe erhält. „The Lion sleeps tonight“. Auch das kann nur eine Maria João bringen.
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