Hannibal Lecter, der charismatische Serienkiller aus „Das Schweigen der Lämmer“, ist wahrscheinlich jedem ein Begriff. Doch nur die wenigsten Psychopathen erfüllen das Klischee des hoch gebildeten, manipulativen und angstbefreiten Kannibalen. Ein Glück für die Besucher der Springmaus, die in Scharen zu einem Vortrag der Kriminalpsychologin Lydia Benecke gekommen sind. „Statistisch gesehen müssten hier im Saal zwei Psychopathen sitzen“, betont die 38-Jährige. Oder zumindest Menschen, die einen Mix gewisser Risiko-Eigenschaften aufweisen.
Doch selbst dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass so jemand zu morden beginnt, extrem gering. „Es ist eine Fehlannahme, dass jeder Psychopath einen Tötungsdrang verspürt“, so Benecke, die als
anerkannte Expertin für die dunklen Seiten der Seele regelmäßig mit Gewaltstraftätern aller Art zu tun hat – und nur zu bereitwillig einen Einblick in deren Geist gewährt.
Lydia Benecke ist eine überaus umtriebige Aufklärerin: In den Medien ist sie ein gern gesehener Gast, im Internet ist sie bei allen Fragen rund um die Kriminalpsychologie fast schon omnipräsent,
und mit ihren detaillierten, teilweise aber auch unterhaltsamen popularwissenschaftlichen Vorträgen erreicht sie eine breite Öffentlichkeit. Kein Wunder angesichts der von ihr herangezogenen
Vergleiche: Mal verweist sie auf die Familie Malfoy im „Harry Potter“-Universum und nennt diese ein ideales Beispiel für ultimativen Opportunismus, dann wieder zieht sie die Panzerknacker heran –
oder auch mal den hyperaktiven Bart Simpson, der immer auf der Suche nach einem Kick ist, und seinen leicht trotteligen Vater Homer, der ganz offensichtlich an einer Impulskontrollstörung leidet.
All diese Eigenheiten können problematisch sein, vor allem dann, wenn sie das Handeln bestimmen. „Deshalb ist die Emotionsregulierung ein entscheidendes Ziel bei einer Therapie“, erklärt Benecke.
Denn nur weil ein Mensch Probleme hat, macht ihn das nicht automatisch zu einem Problemfall. „Wenn jemand fasziniert von Feuer ist, kann das auf einen Pyromanen hindeuten – oder auf einen
Künstler, der diese Faszination in etwas Positives verwandelt. Schließlich ist ein Mensch immer mehr als nur eine Eigenschaft.“
So ist denn auch ein Psychopath nicht so einfach zu definieren. Lydia Benecke ist das wichtig, nicht ohne Grund dehnt sie ihren Vortrag auf gut drei Stunden. Ein Großteil der ersten Hälfte dreht
sich dabei um verschiedene Risiko-Eigenschaften, die in ihrer Kombination einen sehr gefährlichen Menschen ausmachen können und die sich mit den sieben Todsünden in Verbindung bringen lassen:
Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Trägheit. „Wenn Sie jetzt aber meinen, Sie könnten damit einen Psychopathen identifizieren – das klappt nicht“, warnt Benecke zugleich, bevor sie
sich im zweiten Teil ihres Vortrags mit historischen Fällen beschäftigt, bei denen sich die Täter oft genug hinter der Maske des braven Bürgers verbargen, Menschen, in denen Narzissmus und eine
antisoziale Persönlichkeitsstörung eine tödliche Symbiose eingegangen sind. Doch die sind, wie Benecke mehrfach betont, sehr selten und noch seltener gewaltbereit. Zum Glück.
Kommentar schreiben