„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“: Eine toxische Beziehung

George und Martha haben sich schon längst verloren. Ihre Ehe ist ein Kriegsschauplatz, ihre Liebe dem Hass gewichen, und doch können die beiden Hauptfiguren aus Edward Albees toxischem Beziehungsdrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ nicht voneinander lassen. Dafür verachten sie sich zu sehr und gönnen dem anderen zu wenig, noch nicht einmal die Genugtuung der Einsamkeit. Doch als der junge Biologieprofessor Nick und seine Frau Putzi eines Nachts von Martha zu einem After-Party-Umtrunk eingeladen werden, greift dieses Gift um sich – bis es Opfer fordert. Jetzt hat das Euro Theater Central den Klassiker neu inszeniert.

Es ist kein Zufall, dass „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ schon seit 1990 immer wieder auf dem Spielplan des Euro Theaters auftaucht. Schließlich verlangt dieses Kammerstück geradezu nach einer beklemmenden Enge und einer Unmittelbarkeit, die stets den Kern des Zimmertheaters ausmachte – und ähnlich wie Sartres „Huis Clos“ diskutiert es existenzielle Fragen. Leichte Kost ist das nicht, vielmehr fordern der ständige Psychoterror der dominanten Martha (grandios böse: Kerstin Baldauf) und die strategischen Konter ihres Gatten George (Tobias Wollschläger) sowohl bei den Charakteren als auch beim Publikum Tribut. Die bedrückende Intensität der beiden Hassenden sowie ihre wachsende Einflussnahme auf Nick (Jonathan Dorando) und die zunächst unschuldig wirkende und später fast manisch-depressive Putzi (herrlich differenziert: Celia Abraham) sind erschreckend und faszinierend zugleich, nicht zuletzt dank des grandiosen Ensemblespiels. Auch hat Richard Hucke bei seinem Regiedebüt geschickt die richtigen Akzente gesetzt, das Stück kompakt gehalten und die Dynamik zwischen den Figuren zugespitzt, ohne sie dabei aus dem Ruder laufen zu lassen.

Immer weiter dreht sich die Gewaltspirale, immer toxischer der ohnehin schon alkoholschwangere Abend, der langsam aber sicher das gesamte Lügengebilde zersetzt. Vor allem Nick lässt sich immer tiefer in das düstere Spiel von George und Martha hineinziehen, lässt sich verführen und anstacheln und wird so Täter und Opfer zugleich. Denn auch er hat ein dunkles Geheimnis, das an diesem Abend unweigerlich ans Licht kommen muss. Nach und nach schwinden die Illusionen, die alles zusammenhalten, bis nur noch die blanken Knochen eines längst vergangenen Ideals von Harmonie und Liebe zurückbleiben, zerfressen vom Gift des Hasses und Jahren des gegenseitigen seelischen Missbrauchs. Am Ende, nach einem diabolischen letzten Akt Georges, bleibt nichts übrig außer der Wahrheit, und die schmerzt vor allem Martha mehr als alle selbst zugefügten, imaginierten und realen Demütigungen der vergangenen 18 Jahre. Ob daraus etwas Neues entstehen kann, und sei es nur der Impuls für eine Katharsis, das lässt Hucke dabei bewusst offen. Gut so. Das Premierenpublikum ist auf jeden Fall auch ohne Happy End begeistert und feiert eine mutige Inszenierung sowie ein exzellentes Ensemble mit lang anhaltendem Applaus.

Termine: 24. bis 26. November, 20 Uhr, Euro Theater Central, Budapester Straße 19. Karten erhalten Sie per Mail an karten@eurotheater.de oder telefonisch unter 0228 65 29 51.

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