„Glanz auf dem Vulkan“: Sehnsucht nach dem wilden Leben

Der Tod tanzt mit. In den Clubs und Bars von Berlin bis New York, in denen während der 1920er Jahre der Exzess gefeiert und die Freizügigkeit gelebt wird, in denen alles erlaubt und nichts unmöglich scheint, in denen das Leben pulsiert und jeder Moment ausgekostet wird, überall dort ist auch der Schnitter unter den Gästen. Diesen Tanz auf der Rasierklinge, zwischen Aufstieg und Untergang, haben Evi Niessner und ihre M & G Showcompany schon vor zwei Jahren in eine spektakuläre Burlesque-Show verwandelt – bis der Lockdown kam und alle Aufführungen mehrfach verschoben werden mussten. Jetzt aber war „Glanz auf dem Vulkan“ an gleich zwei Terminen im Bonner Pantheon zu bewundern. Und eins wurde schnell klar: Das Warten hat sich gelohnt.

„Glanz auf dem Vulkan“ ist wirklich ganz großes Theater. Während die vorherige Produktion „Let's Burlesque“ gewissermaßen als Türöffner in die Welt der Sinnlichkeit fungierte, geht das Ensemble um Evi Niessner jetzt einen Schritt weiter. Natürlich gibt es auch diesmal viel nackte Haut zu sehen, doch spielen kunstvolle Strip-Einlagen nur noch eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist das Spiel mit Glamour und Dunkelheit, jener Widerspruch zwischen dem ausufernden Leben und der bedrohlichen Realität einer Post-Weltkriegs-Generation, der die 1920er prägte. „Weil ich weiß, dass ich sterben muss, kann ich so leben“, sagt die tollkühne Claire (Tara D'Arson), eine der drei stereotypen Frauenfiguren der Show, die an Amelia Earhart angelehnt ist – und stürzt sich in den Rausch einer Nacht ohne Morgen. Dort toben sich auch die auf Etikette verzichtende Isadora (Lola la Tease) und das halbseidende „Flappergirl“ Mitzi (Tatjana Zemann) aus, oft in prächtigen Kostümen, die nur wenig der Fantasie überlassen und dennoch stets einer klaren Ästhetik verpflichtet sind. Nicht ohne Grund sind D'Arson und la Tease auch bei der Fernsehserie „Babylon Berlin“ zu sehen. Zu dem Trio stoßen noch der Schlangenmensch Tigris, der sowohl mit einer Hula-Hoop- als auch mit einer Kontorsions-Nummer begeistert (beides für Männer sehr ungewöhnliche Darbietungen) sowie Uwe Czebulla als Personifikation des Todes.

Ergänzt wird die körperliche Sinnlichkeit durch die musikalische. Niessner ist eine exzellente Sängerin, die es allerdings gerne etwas schriller und schillernder mag, während ihr Ehemann Mister Leu als Tier am Klavier und als begnadete Rampensau jedes Stück vergoldet. Spätestens mit seiner Interpretation von „Minnie the Moocher“ hat er das zunächst ein wenig zögerliche Publikum vollends in die Glanz-Welt gezogen, und als er dann auch noch Radioheads „Creep“ mit unglaublich viel Gefühl singt, während Schlangemensch Tigris sich verbiegt, gibt es ohnehin kein Halten mehr. Allerdings ist nicht jedes Lied automatisch ein Gassenhauer, ganz im Gegenteil: Gerade bei einem Streifzug durch Expressionismus und Dadaismus, in dem Niessner nach Königsberger Klopsen giert und die starke Band den schrägen Tönen frönt, verlangt die Show dem Publikum einiges ab. Auch das gehört nun einmal zu den 20er Jahren, diese Dekonstruktion der Musik auf der Suche nach einer Tonsprache, die den Schrecken des Ersten Weltkriegs angemessen sein könnte. Gerade durch diese anstrengenden Momente gewinnt „Glanz auf dem Vulkan“ an Komplexität und Qualität, auch wenn man sie eben aushalten muss. Andererseits setzt Niessner etwa mit Friedrich Hollanders melancholischem Chanson „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ und einer herrlich geswingten Version von „Gangsta's Paradise“ gleichfalls harmonisch angenehme Höhepunkte. Die Rückbesinnung auf die Reize, aber auch auf die Fallen der 20er Jahre ist auf jeden Fall vollumfänglich gelungen.

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