Was haben Portugal und Russland, Frankreich und der Orient gemeinsam? Musik. Und Noëmi Waysfeld. Die 36-jährige Sängerin, die im Rahmen des „Over the Border“-Festivals in der Harmonie aufgetreten ist, hat bei einer intensiven Spurensuche nach ihren eigenen Wurzeln Ost und West und Nord und Süd zusammengebracht, hat Flamenco und Fado ins Russische (und ins Jiddische) übertragen, Lieder aus den Shtetl und französische Chansons miteinander verschmolzen und diese Melange mit einer guten Dosis Jazz veredelt. Eine komplexe, anspruchsvolle Arbeit, die auf der Bühne jedoch selbstverständlich wirkt, überhaupt nicht fremd und gekünstelt, sondern so, als hätte die Musik durchaus so wachsen können.
Die Basis für diese ungewöhnliche Metamorphose legt das Trio Blik im Hintergrund: Akkordeonist Thierry Bretonnet öffnet mit seinem Instrument immer wieder neue Wege, Gitarrist und Oud-Spieler Florent Labodinière setzt die Akzente, und Bassist Antoine Rozenbaum lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, egal wie wundersam die gemeinsame Reise wird oder was Noëmi Waysfeld von ihm erwartet. Gegebenenfalls wird eben auch mal gepfiffen. Mit derartigen Musikern im Rücken kann Waysfeld sich entspannt zurücklegen und ihren samtigen Alt in die Sprachen und die Melodien eintauchen lassen, die sich vor ihr ausbreiten. Der Wechsel zwischen Jiddisch, Französisch und Russisch ist für sie kein Problem; für ihre Moderationen hat sie sogar noch ein bisschen Deutsch gelernt, um dem begeisterten Publikum zumindest ansatzweise vermitteln zu können, wovon sie als Nachlassverwalterin der jüdische Diaspora singt: Melancholie, Wehmut und trotz allem auch Leidenschaft, Gefühle also, die in der „Saudade“ des Fado ebenso zum Ausdruck kommen wie in der russischen Folklore.
Trotz der Verbindung zum Chanson ist längst nicht jedes Stück des Abends eingängig. Viele Arrangements erinnern eher an Programmmusik als an Liedbegleitung, angefüllt mit Klangeffekten und Assoziationen. Mal klopft Rozenbaum einen Rhythmus auf seinem Bass, während Bretonnet bedrohlich wirkende Akkorde spielt und sich darüber kleine Arabesken ranken, dann wieder setzt Waysfeld einen hypnotischen Vokalgesang über einen pulsierenden Groove. Auch Kurt Weills „Yukali“ interpretiert die Sängerin überaus eigenwillig, mit vielen freien Passagen, die aber dennoch das Sehnen nach dem beschriebenen Traumland in sich tragen. Dieses Gefühl, diese Spannung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Programm, dieses hoffnungsvolle Streben nach einer besseren Welt, das in jeder Sprache erkennbar ist. Das Publikum in der Harmonie feierte den Auftritt von Noëmi Waysfeld und der Band Blik gerade deshalb und bedankte sich mit euphorischem Applaus.
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