„Camping“: Urlaub mit Igel

Ferien auf dem Campingplatz: Bei diesem Gedanken häufen sich unweigerlich die Klischees im Kopf, von eigentümlichen Menschen in fahrenden Behausungen, von Hippies mit Zelten und von Chaoten, die aus Langeweile einen Streich nach dem anderen aushecken. Es sind diese Bilder, mit denen das Bonner GOP nach neun Monaten erzwungener Corona-Auszeit in den Sommer startet und die das Theater kaum unterhaltsamer hätte in Szene setzen können. Die neue Show „Camping“ ist der perfekte Ersatz für fehlende Sonnentage und Fernreisen, ein herrlicher Spaß mit jeder Menge wortlosem Humor, phänomenaler Artistik und bewegender Musik. Das ist Varieté in Reinform – und die schönste Form der Auferstehung.

So speziell das Setting auch ist, so poetisch ist seine Umsetzung. Hier eine beginnende zärtliche Romanze zwischen einer jungen Rucksacktouristin und einem gleichaltrigen Schelm, dort die glühende Leidenschaft zwischen zwei begeisterten Tänzern; ein alternder Camper erinnert sich beim Durchblättern eines Fotoalbums an seine große Liebe zurück (die Inszenierung dieser Rückblenden gehört zu den Höhepunkten der Show), und der Platzwart stolpert von einem Missgeschick zum anderen. Gestelzt wirkt dabei nichts, vielmehr fügen sich die verschiedenen Szenen organisch zusammen, gehen ineinander über und bilden so ein buntes, aber jederzeit klar erkennbares Mosaik. Diese Art des Erzählens ist eine Besonderheit kanadischer Produktionen, die auf die internationale Bühne schielen und daher zu Gunsten guter Musik und expressiver Mimik auf bemühte Dialoge und Pointen verzichten. Auch Regisseurin Geneviève Kérouac fühlt sich dieser Spielart verpflichtet – und ihren ehemaligen Schülern von der École de Cirque in Québec. Fast alle Mitglieder des Ensembles haben diese berühmte Zirkusschule besucht, das schweißt zusammen. Vor allem aber haben sie sichtlich Freude am Spiel mit ihren schrägen, liebevoll eigenwilligen Rollen, die sie mit ihrer Kunst zum Leben erwecken. Und die ist in mehr als einer Hinsicht atemberaubend.

Tatsächlich zeigen sich die Artisten in Bestform. Meisterhaft etwa die Französin Louana Seclet, die auf einem hin und her schwingenden Trapez auch mal einen Kopfstand wagt; exzellent auch Florian Grobéty, der mit seinem Cyr (eine Art halbes Rhönrad) einen flinken Igel zu fangen versucht; und schlichtweg atemberaubend Francis Gadbois, der mit seinem Kunstrad jeden vorstellbaren – und auch den ein oder anderen unvorstellbaren – Trick zeigt. Am beeindruckendsten war jedoch ein anderer: Thomas Blacharz, Weltmeister in Lindy Hopp und Jazz Dance, jagt zusammen mit Marion Bayle so leichtfüßig und präzise über das Parkett, dass es jedem passionierten Hobby-Tänzer die Sprache verschlägt. Besser geht’s nicht.

Nicht zuletzt dank der verschiedenen Tanzeinlagen spielt bei „Camping“ auch die Musik eine wichtige Rolle – und da jeder im Ensemble mindestens ein Instrument beherrscht, ist das auch kein Problem. Mehr als die Hälfte der Nummern wird live untermalt, mal nur mit Florian Grobéty am Bass und dem Bonner Musiker Richie Hellenthal am Akkordeon, mal mit allen zusammen. In diesen Momenten entsteht eine ganz besondere Atmosphäre, ein Hauch von Lagerfeuer-Romantik und Gemeinschaft, der weit über alle Klischees hinausgeht. „Camping“ ist so genau die richtige Antwort auf den Lockdown – und die sollte man sich nicht entgehen lassen.

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