„99 Luftballons“: Revue der guten Laune

Die Theater spielen wieder! Ein Satz, auf den zahlreiche Kulturbegeisterte seit Ende Oktober 2020 sehnsüchtig gewartet haben. Gut, es ist erst einmal nur ein Haus, das in Bonn seine Pforten öffnet und das Publikum im Inneren empfängt, doch für Malentes Theaterpalast hat sich dieser Schritt offenbar gelohnt. Immerhin war die Wiederaufnahme der verrückt-amüsanten, mitunter zotigen und auch peinlich authentischen 80er-Jahre-Revue „99 Luftballons“ unter Corona-Bedingungen ein voller Erfolg: Ausverkauft, umjubelt, gefeiert. Zu Recht. Denn das starke Ensemble sorgte mit starken Stimmen und einer erstaunlichen Wandlungsfähigkeit immer wieder für neue vergnügliche Höhepunkte.

Dabei ist das Stück an sich nicht neu. Schon rund 15 Jahre haben die Malentes (Knut Vanmarcke und Dirk Vossberg-Vanmarcke) es im Repertoire, doch während diese ursprünglich alle Männerrollen selbst übernommen hatten, überließen sie diesmal zumindest die jugendlichen Rollen einer jüngeren Generation von Schauspielern. Die macht ihre Sache denn auch ausgezeichnet: Der Holländer Jeroen Sigterman mimt den leicht verklemmten Dieter, Nils Marckwardt seinen angeberischen WG-Kumpel Benny; dazu stoßen noch Lara Grünfeld und Annemarie Reuter als Mitbewohnerinnen Tanja und Rosemarie, und schon kann es losgehen mit der Zeitreise in die Ära der Schulterpolster und der Fönfrisuren, der Spandex-Aerobic-Anzüge und der mühsam mitgeschnittenen Kasetten-Mixed-Tapes. So ziemlich jedes Klischee wird bedient, Anspielung um Anspielung gemacht und so ziemlich alles durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen, was in den 80ern im Mainstream-Deutschland populär war. Da werden Werbe-Clips von Versicherungen bis hin zu Eis-Herstellern zum Leben erweckt, Serien wie „Denver Clan“ und die „Schwarzwaldklinik“ persifliert und natürlich zahlreiche Hits interpretiert. Manchmal übertreiben die Malentes und ihr Ensemble es dabei ein wenig – vor allem die Dumbo-Ohren von Prinz Charles, der bei Rudi Carrell sein „Herzblatt“ sucht, sind ebenso verzichtbar wie der Erben gebärende Koitus am Ende der Szene –, doch meistens treffen sie mit ihren Ideen ins Schwarze. Herrlich etwa die Auftritte der alten, aber sexuell noch durchaus fidelen Hausmeisterin Sikorski (Dirk Vossberg-Vanmarcke) oder die außerirdische Unterstützung bei Hubert Kahs „Sternenhimmel“.

Apropos Musik: Davon gibt es natürlich genug und doch zu wenig. Auf der einen Seite ziehen die Malentes etliche Hits der Neuen Deutschen Welle und des Schlagers heran, von Maria und Margot Hellwigs schrecklichem Stadl-Stück „Servus, Grüezi und Hallo“ über Al Bano und Romina Powers „Felicita“ bis hin zu dem inzwischen kaum noch gespielten, herrlich in Szene gesetzten „Eiszeit“ der Gruppe Ideal. Auf der anderen Seite fehlen Rock, Punk und Hip Hop völlig und somit so prägende Künstler wie Prince, The Cure, Falco, Queen oder The Police. Weiter als bis zu Madonnas „Material Girl“ und David Hasselhoffs „Looking for Freedom“ reicht das Spektrum einfach nicht. Irgendwie schade. Dennoch ergeben sich mehr als genug nostalgische Momente, zumal alle Beteiligten auf der Bühne über starke Stimmen verfügen und jede Figur geschickt überzeichnen, ohne dass der Gesang darunter leidet. So macht selbst der Auftritt von Nicki, dem bayerischen Cowgirl, noch Lust auf mehr. Muss man auch erst einmal schaffen. Der riesige Applaus des Publikums, das das gesamte Team am Ende mit stehenden Ovationen feiert, kommt insofern nicht überraschend. Besser hätte der Neustart nach dem Lockdown also nicht laufen können, zumal die Malentes eindrucksvoll bewiesen haben, wie gut eine Show in einem Theater auch jetzt schon funktionieren kann. Damit dürfte nicht nur ihnen, sondern auch den anderen Bonner Häusern ein großer Stein vom Herzen fallen.

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