„Nicht Fisch Nicht Fleisch“: Opfer des Starrsinns

Die Zukunft kommt Edgar (Holger Kraft) nicht ins Haus. Wenn es nach dem bequemen Maschinensetzer aus dem Gesellschaftsdrama „Nicht Fisch Nicht Fleisch“ von Franz Xaver Kroetz geht, bleibt am besten alles beim Alten. Veränderungen, die bringen nur Ärger, ebenso wie die ständigen Agitationen von Nachbar Hermann (Sören Wunderlich). Ist schließlich schon schlimm genug, dass Gattin Emmi (Annika Schilling) als Filialleiterin ihren eigenen Supermarkt aufmachen will, statt Kinder zu kriegen und brav zu Hause zu bleiben, so wie es sich gehört. Gut, ist eben so, aber mehr Fortschritt muss nun wirklich nicht sein. Als jedoch durch eine Fusion seiner Firma der eigene Berufsstand zur Disposition steht und damit all das, was ihn definiert, gelangt er in eine Abwärtsspirale, aus der es kein Entkommen gibt. Jetzt hat das Theater Bonn das Stück auf die Werkstattbühne gebracht.

Fast 40 Jahre ist Kroetz' tragische Groteske inzwischen alt, doch seine Aktualität hat es bis heute nicht verloren. Die Arbeit ist weiterhin für viele Menschen ein zentrales Element der eigenen Identität, und die immer schneller fortschreitende Modernisierung und Digitalisierung stürzt so manchen in eine Sinnkrise, die der von Edgar nicht unähnlich ist. „Wer mir meinen Beruf nimmt, nimmt mir mein Leben und stößt mich ins Wasser“, sagt dieser. „Und ich bin kein guter Schwimmer.“ Doch ist er längst nicht das einzige Opfer der Entwicklungen, die Jungregisseur Max Schaufuß in einer möglichst reduzierten Bühne so geschickt inszeniert, dass die auch dort geltenden corona-bedingten Abstandsregeln kaum auffallen. Auch Hermann, der verhinderte Arbeiterführer, vermag sich nicht anzupassen und eckt mit seinen durchaus berechtigten, aber radikal und unnachgiebig formulierten Forderungen so sehr an, dass ihm seine Kollegen am Ende eine Lektion erteilen und ihm den Hintern mit einer Luftpumpe aufblasen – ein unschönes Bild, auf dessen szenische Umsetzung man durchaus hätte verzichten können. Andererseits hat vermutlich niemand im Publikum Mitleid mit einem Mann, der seine Frau Helga (Lena Geyer) erst zur Abtreibung des dritten Kindes drängt und sie dann dafür verteufelt, so dass sie endgültig zusammenbricht.

 

Leicht sind die rund 100 Minuten in der Werkstattbühne in einem Seitenflügel des Opernhauses somit nicht zu ertragen, auch wenn Regisseur Schaufuß die Figuren immer wieder ins Groteske zerrt. Vor allem Edgar mutiert zunehmend zum Tier, grunzt und schnaubt und heult in einem fort, während Hermann sich mit seinen Parolen zu rechtfertigen versucht und damit nicht minder lächerlich wirkt. Dahinter lauert aber permanent die Tragödie, zumal die vier Schauspieler die Balance zwischen Starrsinn und Zerrissenheit allesamt meisterhaft umsetzen. So stark kann Theater sein. Auch in Corona-Zeiten.

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