Rimini Protokoll: Geschichten in der Baustelle

 Sie hat schon einiges mitgemacht: Geplatzte Bälle und legendäre Konzerte, Festakte und ein großer Brand haben der Beethovenhalle seit ihrer Eröffnung im Jahre 1959 eine ganz eigene Geschichte gegeben. Und überaus viele Geschichten, die erzählt werden können. Diese ins Bühnenlicht zu locken, ist die Aufgabe des Rimini Protokolls, einer Berliner Gruppe mit einer Leidenschaft für dokumentarisches Theater. Inmitten der aktuellen Baustelle der Beethovenhalle hat das Kollektiv mit Hilfe von Laien-Darstellern, die alle eine besondere Beziehung zu dem Gebäude haben, einen Rundgang inszeniert, der so manchen Blick hinter die Kulissen gewährt.

 Insgesamt zehn Stationen haben die Mitglieder des Rimini-Protokolls in der Beethovenhalle eingerichtet, die derzeit zumindest auf den ersten Blick so aussieht, als würde sie selbst 2024 nicht fertiggestellt werden können. Ebenso viele Gruppen ziehen dann auf unterschiedlichen Wegen los und treffen an festgelegten Stellen jene, die etwas zu erzählen haben. Brezelverkäuferin Irmgard Nordbrock zum Beispiel, die in Bonn schon längst eine Institution ist, mindestens so bekannt wie der verstorbene Alle-mal-malen-Mann Jan Loh und offizielle Nachfolgerin von Egon „Brezel-Hein“ Venus. Mit ihrem Stand ist sie aus der Beethovenhalle nicht mehr wegzudenken und gehört ebenso zum „Inventar“ wie deren Leiter Michael Tänzer. „Die Halle ist mein Leben“, sagt dieser und erinnert sich an etliche denkwürdige Momente, etwa als 2003 beim alljährlichen Ball der Luftwaffe ein Sprengstoffhund Alarm auslöste und der gesamte Saal geräumt werden musste. „Am Ende zeigte sich, dass ein Klebestreifen der Auslöser war“, erklärt Tänzer. „Den hatte ein Bauarbeiter in einer alten Munitionskiste transportiert.“

 

Nicht alle Anekdoten sind unterhaltsam, manche wirken bis heute nach. Journalistin Ursula Kosser erinnert sich an die fast schon alltägliche sexuelle Belästigung beim Bundespresseball, während die Politik auf dem Herrenklo gemacht wurde; Ex-OB Jürgen Nimptsch lässt einmal mehr die Debatte um das Festspielhaus hochkochen; und Chor-Sänger Udo Skomorowsky berichtet von jener Nacht im Juli 1983, als einer seiner Freunde aus Übermut in die Beethovenhalle einstieg, dort etliche Kerzen anzündete und letztlich einen schweren Brand auslöste. Überaus clever und zugleich berührend erscheint derweil der Beitrag von Hörgeräte-Akustiker Alexander Brühl, der nach einer Windpocken-Infektion selbst taub wurde und erst durch ein Implantat wieder Musik wahrnehmen kann. Weitere Mitwirkende sind der ehemalige Protokollchef des Bundespräsidialamts Horst Arnold, die da-Capo-Wirtin Lydia Lohmeier, die Denkmalschützerin Constanze Falke und der Cellist Teemu Myöhänen, dessen Asasello-Quartett zwischen den Stationen kleine Intermezzi des zeitgenössischen Komponisten Ari Benjamin Meyers einstreut und somit quasi als Timer fungiert.

 

Hinsichtlich der Historie der Beethovenhalle erfahren die Teilnehmer dieser theatralen Begehung auf diese Weise allerlei Spannendes und Hintergründiges. Wer allerdings auf eine kritische Aufarbeitung der ganzen Causa rund um die Sanierung der Halle hofft, wird enttäuscht werden. Andererseits setzt die Geschichte selbst die beste Pointe: Ausgerechnet die Beethovenhalle, die aufgrund der zahlreichen Verzögerungen bei der Sanierung für das Jubiläumsjahr eigentlich nicht zur Verfügung stand, ist in Corona-Zeiten der einzige Ort, an dem eine Veranstaltung des Festivals stattfinden kann.

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