Crossroads: Ein halbes Geister-Festival

In nur vier Tagen hat sich alles verändert. Als die Frühjahrs-Ausgabe des zum WDR Rockpalast gehörenden Crossroads-Festivals in der Harmonie ihren Anfang nahm, hatten die deutschen Veranstalter noch die Hoffnung gehegt, dass zumindest kleinere Konzerte weiterhin würden stattfinden können, dass das Leben irgendwie weitergehen dürfe und Generalschließungen umgangen werden könnten. Am Ende hatten sich dagegen die schlimmsten Befürchtungen erfüllt. Die Kultur liegt im Koma – und die rasante Entwicklung dieser kollektiven Ohnmacht lässt sich anhand der vier Crossroads-Tage auf erschreckende Weise nachvollziehen.

Tag 1: Ein Hauch von Normalität. Zwar ist weniger Publikum als erwartet in die Harmonie gekommen, um die Auftritte von Hodja und The Godfathers zu erleben, doch die Lust am Rock will man sich nicht nehmen lassen. Nicht von Corona und auch nicht von den Irritationen, für die Hodja durchaus sorgen. Das Trio um Frontmann Claudius Pratt, der in seinem grauen Overall ohne weiteres der jüngere Bruder von A-Team-Schrauber B.A. Baracus sein könnte, wurde als staubtrockene Rock-n-Roll-Voodoo-Band angekündigt, und angesichts von hypnotischen Stücken wie „Gazelles“ vom 2016er Album „Halos“ hätte diese Charakterisierung auch durchaus passen können. Stattdessen erklang ein martialisch krachender Sound irgendwo zwischen den Beastie Boys und Rage Against The Machine, ein Nu-Metal-Rap-Rock mit einem Sänger, der es mitunter zu weit trieb und immer dann am besten war, wenn er sich der ruhigen Dunkelheit zuwandte und nicht dem aggressiven Stroboskop-Gewitter. Die notwendige Balance hatten derweil The Godfathers längst gemeistert. Peter Coyne, nach 35 Jahren das einzige verbliebene Mitglied der Ur-Besetzung von 1985, schmetterte mit seiner rauen Stimme eine Parole nach der anderen in den Saal, während seine Kollegen um den exzellenten Drummer Tim James gradlinigen Rock durch die Boxen jagten, laut, dreckig, hart, direkt und verdammt gut.


Tag 2: Listenpflicht. Noch lassen WDR und Harmonie Zuschauer zu, deren Namen und Kontaktdaten allerdings gesammelt werden müssen, um im Falle eines Corona-Falls im Publikum potenziell Infizierte ausfindig machen zu können. Nicht jedem ist das recht, häufig mit Verweis auf den sonst doch so wichtigen Datenschutz, aber besser als eine Konzertabsage ist diese Maßnahme allemal. Insbesondere an diesem Abend. Nur sehr selten in der langen Geschichte von Crossroads hat eine Band so gezaubert wie WellBad: Die Bluesrock-Formation um den Hamburger Sänger Daniel Welbat ist schlichtweg brillant, vor allem hinsichtlich Dramaturgie und Dynamik. Kein Wunder bei einem Frontmann, der aus einer Schauspieler-Familie stammt und sich mit jeder Faser seines Körpers in die Musik hineinsteigert, um seine Geschichten erzählen zu können. Mal ist er ein Prediger in religiöser Ekstase, dann wieder ein wahnsinniger Philosoph, immer aber eine Rampensau allererster Güte, ausgestattet mit einer Reibeisenstimme und einer Spielfreude, die seinesgleichen sucht. Angesichts dieser Wucht hat es Wallis Bird extrem schwer, zu bestehen. Bei der irischstämmigen Singer-Songwriterin läuft aber auch so manches nicht optimal: Erstmals steht sie mit dem Frauen-Trio Wyvern Lingo auf der Bühne, ist nicht eingespielt, zerreißt eine Gitarren-Saite nach der anderen und verheddert sich gerne mal in ihrer Effektmaschinerie. Die lenkt aber ohnehin nur davon ab, dass sich die Botschaften der charmanten Musikerin weitgehend auf wenige Zeilen Dauerschleife beschränken. Dabei verfügt Wallis Bird über eine faszinierende Stimme – und über jede Menge Mut, wie etwa die starke a-cappella-Eröffnung beweist. Das muss man sich erst einmal trauen.


Tag 3: Die Geisterkonzerte. Nach entsprechenden Anweisungen der Stadt Bonn dürfen keine Live-Veranstaltungen mehr stattfinden, was der WDR unverzüglich umsetzt. Der Saal der Harmonie bleibt also leer, zum ersten Mal in der Geschichte des Rockpalasts. Dennoch gab vor allem Gitarristin Laura Cox von der ersten Sekunde an Vollgas, um den über ein Streaming-Angebot zugeschalteten Zuschauern eine gute Show zu bieten. Rotzig-frecher Rock schallt aus den Boxen, schnörkellos und druckvoll. Ach, es hätte so schön sein können. Gleiches gilt auch für den Auftritt von Maidavale, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen. Die vier Schwedinnen tauchen kurzerhand in ihren Psychedelic Rock ab, lassen Melodien und ganze Stücke ineinanderfließen und bleiben dabei doch so abwechslungsreich, dass es eine Freude ist. Oder sein könnte, wenn die Situation nicht so verfahren wäre. Klar ist, beide Bands hätten mehr verdient. Hoffentlich lässt sich das bei nächster Gelegenheit korrigieren.


Tag 4: Zeit für Notlösungen. Zwei Bands sollen an diesem letzten Abend noch spielen, doch eine nach der anderen muss absagen. Letztlich schaffen es die Veranstalter doch noch, zwei Formationen nach Bonn zu locken, die kurzerhand auftreten wollen. The Universe By Ear aus Basel hätten es einem vorhandenen Publikum allerdings auch nicht ganz einfach gemacht, dafür ist ihr Kraut- und Prog-Rock-Stil doch recht speziell. Epische Instrumentalstücke reihen sich aneinander, wuchtig, dumpf, schwer. Keine Musik für jedermann, aber durchaus passend zur Corona-Ära, und technisch auf einem derart hohem Niveau, dass man sie nach einer gewissen Eingewöhnungszeit zu schätzen lernt. Leichter fällt das allerdings bei Suzan Köcher's Suprafon: Auch diese Band öffnet sich psychedelischen Ansätzen, mischt sie allerdings mit Folk und Pop, ist liedhafter und strukturierter und damit zugänglicher. Im Zusammenklang mit Köchers hypnotischen Stimme entsteht so ein starker Schluss-Akkord eines beängstigenden Festivals. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Welt bald wieder gesundet und zur Vernunft kommt, damit Musik und Kunst nicht auf Dauer im Koma liegen müssen.


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