Freaks: Tolle Typen

Seit jeher gilt der Zirkus als die Heimat jener, die anders sind. Hier sind sie sicher, die Außenseiter, die Exzentriker und die Eigenwilligen, die Frau mit Bart und Fakir-Diva, die Spinnendame und die nordischen Muskelpakete. In der neuen GOP-Show „Freaks“ treten diese Gestalten nun aus den Schatten ins Rampenlicht, zelebrieren die Exotik des Außergewöhnlichen und verbinden ihn geschickt mit teils atemberaubender Artistik. So entstehen beeindruckende Bilder und Szenen, zwar ohne roten Faden, aber dafür mit starken Charakteren. Und mit einer ordentlichen Dosis Wahnsinn.

Mit dem inzwischen legendären Kuriositätenkabinett des Zirkuspioniers P.T. Barnum, der Ende des 19. Jahrhunderts eine der größten Attraktionen seiner Zeit schuf und in der Musical-Verfilmung „The Greatest Showman“ glorifiziert wurde, hat die GOP-Freakshow nur am Rande zu tun. Natürlich gibt es mit dem Cyr-Artisten Gabriel Drouin eine überaus charmante „bärtige Lady“ – ohne sie würde eine ikonische Figur fehlen – , doch eigentlich stehen andere Talente im Mittelpunkt. Die biegsame Estrella Urban zum Beispiel, die auf eine fast schon unheimliche Art und Weise über die Bühne huscht; oder die Schwertschluckerin Fibi Eyewalker, die ohne mit der Wimper zu zucken lange Klingen ihre Kehle heruntergleiten lässt. Alles eine Frage der Technik und dennoch so fremdartig anmutend, dass das Publikum von der Illusion gebannt wird. Gleiches gilt für das brillante Spiel von Kontorsionistin und Luftring-Akrobatin Vanessa Collini, die so tief in die Rolle der Verrückten aus der geschlossenen Psychiatrie hineingleitet, dass selbst Joker-Freundin Harley Quinn noch so einiges von ihr lernen könnte. Gerade sie sorgt dabei für einige der unterhaltsamsten Szenen des Abends, insbesondere wenn die Irre den Narren (Sébastien Tardif) an die Kandare nimmt. Der Clown, der sonst auch gerne mal im Publikum nach mehr oder willigen Opfern für seine Streiche sucht, scheint zunächst an einer amourösen Liaison interessiert zu sein, muss aber schnell feststellen, dass dies durchaus Gefahren für seine Männlichkeit birgt.

Zugegeben, nicht jede Rolle passt ins Schema. Vor allem das Vertikaltuch-Duo Louis-Marc Bruneau-Dumoulin und Camille Tremblay lässt jene exzentrischen Eigenschaften vermissen, die die anderen Freaks auszeichnet und zu etwas Besonderem macht; dann schaut man doch lieber Vladimir Snitko und Vladimir Karvatyuk zu, die ihre Partnerakrobatik mit einer überwältigenden Leichtigkeit und Ruhe ausüben, die ihresgleichen sucht. Was die beiden Ukrainer da im GOP präsentieren, gehört ohne Frage zur absoluten Weltklasse – und wenn der eine dann noch den anderen auf einer Dolchspitze balanciert, kann man wirklich von etwas Einmaligem sprechen. Später wirbeln sie auch noch ihre Partnerin Kateryna durch die Luft, katapultieren sie in die Höhe, lassen sie Salti schlagen und Schrauben drehen und setzen so einen weiteren Höhepunkt.

Obwohl das Ensemble selbst für die meisten Übergänge zwischen den einzelnen Nummern sorgt, hat das GOP auch noch einen Zeremonienmeister verpflichtet, der vor allem für den musikalischen Rahmen sorgt: Elyas Khan, eine elektrifizierende Erscheinung ganz in weiß, ein Virtuose am Bass und ein Maestro an den Effekt-Geräten. Er ist es, der pulsierende Grooves und verzerrte Sounds zu einer eigenwilligen Mischung verbindet, der Rock und Punk ebenso einbindet wie Orientalismen und jede Menge elektronischer Modulationen. Ungewöhnlich, aber immer passend für einen bildgewaltigen Abend mit schrägen Vögeln, komischen Gestalten und faszinierenden Freaks.

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