Der Blues ist noch da, aber der Schwermut ist verschwunden. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Erjy Lyytinen emotional angeschlagen war und sich 2017 mit „Stolen Hearts“ den Schmerz von der Seele singen musste. Nun jedoch wagt die finnische Gitarristin mit „Another World“ den Neuempfang und zeigt sich so vielseitig wie nie. In der Harmonie schlägt sie auf jeden Fall ein neues Kapitel in ihrer schon jetzt bemerkenswerten Karriere auf, lässt neben Rock und Funk auch Pop und sogar einen Hauch von irischem Folk einfließen und offenbart mit jedem neuen Song eine neue Facette ihres künstlerischen Tuns. Ein starker Auftritt, der keine Wünsche offen lässt.
Schon immer hat Lyytinen sich an Genre-Grenzen gerieben, hat den Zwölftakter gerne aufgeraut oder wie bei ihrem Elmore-James-Tribut „The Sky Is Crying“ mit souligen Tönen unterlegt. Doch erst
jetzt scheint die 43-Jährige so geerdet, dass sie sich in alle Richtungen öffnen kann. „Torn“ ist geradezu gefällig, ohne dabei aber beliebig zu wirken, „The Wedding Day“ erinnert mitunter an
weinende Babys (ganz bewusst, wie die zweifache Mutter gerne betont), und das stampfende „Snake In The Grass“ macht selbst ohne das Gitarren-Duell mit Michael Jacksons Saitenzauberin Jennifer
Batten, das den Song auf der Platte veredelt, durchaus Spaß auf mehr, zumal Bassist Tatu Back auch mal glänzen darf. Nur auf das Slide-Spiel, das Lyytinen eigentlich meisterhaft beherrscht,
verzichtet sie an diesem Abend weitgehend. Macht aber nichts. Die Musik wirkt schon so.
Auch das Publikum profitiert von der neuen Energie, die Erja Lyytinen durchströmt. Immer wieder geht die Rockröhre auf die Menge zu, spielt sie an, bezieht sie mit ein – einmal klettert sie sogar
von der Bühne und hinauf auf den gegenüberliegenden Balkon, um von dort ein ausgedehntes Solo zu spielen. So viel Nähe ist nicht selbstverständlich, kommt aber gut an. Dafür zählen die Fans dann
auch bei „Rocking Chair“ nur zu gerne auf Finnisch mit und feiern eine Künstlerin, die schon vorher zu fliegen verstand und doch erst jetzt ihre Schwingen vollends ausgebreitet zu haben scheint.
Man darf insofern gespannt sein, was die Zukunft für Lyytinen bereithält. Auftritte mit Tom Jones und Carlos Santana in den vergangenen Jahren dürften nur der Anfang gewesen sein.
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