Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen schwer: Das weiß auch Torsten Sträter nur zu gut. Der 53-jährige Kabarettist, Autor und wahrscheinlich bekanntester Mützenmann der deutschen Kleinkunstszene hat immerhin selbst einen vor sich hin pubertierenden Sohn, dem er gerecht werden möchte, statt sich wie der eigene Erzeuger aus dem Staub zu machen und darüber einen Mantel des Schweigens zu breiten. Also hat er mit dem Filius jede Menge Zeit verbracht, statt das neue Programm zu schreiben. Gut so. Denn gerade diese Prokrastination ist Ursprung zahlreicher Geschichten und Anekdoten, die Sträter nun unter dem kryptischen Titel „Schnee, der auf Ceran fällt“ im restlos ausverkauften Brückenforum präsentiert, das dem Pantheon ausnahmsweise als Ausweichstätte dient – ein herrlich schräges Kuddelmuddel, in dem sich Sträter nur zu gerne verliert, eine Abschweifung nach der anderen einfügt und abstruse Volten vollzieht, die unterhaltsamer kaum sein könnten. Natürlich alles nichts als die Wahrheit, betont er. Zumindest wenn man für Wahrheit einen bestimmten Wert anlegt.
Sträter fühlt sich wohl an diesem Abend, trotz der schwülen Luft im Saal. Genüsslich plaudert er von der Reise nach New York und der Überforderung seines Sprösslings bei der Einreise; von dem
geheimen Eigenleben der Bockwürstchen auf Autobahnraststätten; von einem kleinen Sketch, mit dem er und sein Sohn vor dessen Lehrern für einige Irritationen sorgen; und von dem ein oder anderen
Stuhlgang in verschiedenen Zügen, die allesamt ihre Spuren hinterlassen haben. Campino von den Toten Hosen scheint auf jeden Fall seit einer Begegnung vor einer solchen Verrichtungskabine nicht
mehr allzu gut auf Sträter zu sprechen zu sein. Dabei gelingt es diesem immerhin, selbst die plastischen Verdauungsprobleme samt Endausscheidung weder eklig noch peinlich wirken zu lassen,
sondern in erster Linie überaus unterhaltsam. Muss man auch erst einmal hinkriegen. Kein Problem für Sträter, dessen unverblümter Ruhrpott-Soziolekt und schnodderige Art fast alles erlauben.
Innerhalb dieser Sprache kennt der Poetry-Slammer sich bestens aus, liebt sie und weiß sie meisterhaft zu führen, selbst wenn dies mitunter nicht so offenkundig wird. Doch wer sich so wie er
minutenlang über falsche Redewendungen und Formulierungen aufregt und sich gleichzeitig diebisch über Doppeldeutigkeiten im gesprochenen Wort freut, legt jeden Satz auf die Goldwaage. Und freut
sich über 24 Karat.
Doch was ist letztlich das Programm und was improvisiert? Keiner kann es sagen, wahrscheinlich noch nicht einmal Torsten Sträter selbst. „Lediglich das Ende steht fest“, behauptet er. Durchaus
möglich. Aber eigentlich auch egal. Als Erzähler ist der Mützenmann auf jeden Fall erstklassig, und so ist es auch nicht schlimm, dass er erst um 23 Uhr zu seinem letzten Text kommt, jenem über
die Suche nach dem eigenen Vater, den er nie kennengelernt hat und von dem er 50 Jahre lang noch nicht einmal wusste. Ein sehr privates Finale, möchte man meinen. Und sogar ein melancholisches,
auch wenn dieses Gefühl – und erst jetzt erschließt sich der Programmtitel – doch so schnell verschwindet wie Schnee, der auf Ceran fällt. Was bleibt, ist Freude. Mehr kann man von diesem Abend
wirklich nicht erwarten.
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