Eigentlich braucht Tim Fischer nicht viel, um sein Publikum zu verzaubern. Seine eindringliche und überaus wandlungsfähige Stimme, vielleicht einen dezent spielenden Pianisten an seiner Seite und lyrische Chansons voller Leidenschaft und Zerbrechlichkeit, voller Witz und Charme und Poesie. Das genügt. Zumindest normalerweise. Anlässlich seines 30. Bühnenjubiläums hat Fischer allerdings gleich eine ganze Band verpflichtet, um sich angemessen in Szene setzen zu lassen und alle Facetten funkeln zu lassen. Im Pantheon gibt er sich dementsprechend vielseitig, schillernd, bunt, mal am Abgrund der Albernheit entlangtanzend und dann wieder mit seiner Kunst die Tiefen der Seele entblößend. Doch nicht jede Farbe steht dem Paradiesvogel mit den goldenen und den schwarzen Schwingen gleichermaßen gut – und auch nicht jedes Arrangement.
Es ist kein Geheimnis, dass Tim Fischer nicht nur ein Mann für traurige Stunden ist. Ob er nun den „Brief einer höheren Tochter“ mit all ihren schlüpfrigen Offenbarungen vorträgt oder „Die Transe
Hans von Hanse-Trans“ besingt, stets hat der 46-Jährige Spaß an der Frivolität, spielt mit dem vermeintlich Unanständigen und längst überholten Moralvorstellungen. Fehlt diese Ebene allerdings,
droht der Auftritt zu kippen, so wie bei dem verschnupften „Meine Nase läuft“, dessen Helge-Schneider-Witz überhaupt nicht zu Fischer passt. Der lässt sich davon aber nicht beirren, springt im
Goldbrokat-Frack ausgelassen über die Bühne, gibt den Clown, kokettiert mit dem Publikum und lässt die Band das übrige machen. Was nicht immer sinnvoll ist. Denn vor allem Gitarrist Jo Ambros und
Drummer Bernd Oezsevim grätschen nur allzu gern mal mitten in die Gesangspassagen hinein, so dass Fischers Stimme unterzugehen droht, was insbesondere bei dem textlastigen Hollaender-Klassiker
„Stroganoff“ tödlich ist. Ohnehin will das Quartett im Hintergrund oft zu viel, mäandert immer wieder in Richtung eines seltsamen New-Wave-Schlagers und behindert an sich herrliche Kompositionen
wie „Die Zeit heilt alle Tränen“ auf diese Weise in ihrer Entfaltung. Schade. Denn wie so oft wäre weniger mehr. Weniger Rinnsteinprinzen. Ergibt mehr Tim Fischer.
Der erstrahlt immer dann, wenn es die anderen nicht übertreiben und sich wie etwa beim grandiosen „Hauptbahnhof“ (eine ungeheuer amüsante Replik auf Jacques Brels „Amsterdam“) ganz in den Dienst
des Liedes stellen – oder wenn sie sich gleich ganz zurückziehen und höchstens noch Rainer Bielfeldt, der Fischer wahrscheinlich besser kennt als jeder andere Musiker, am Klavier leise die
Akkorde plätschern lässt. Hildegard Knefs Wiegenlied „Doch hör nicht auf mich“ wird auf diese Weise zum Genuss, ebenso wie natürlich die berühmte „Rinnsteinprinzessin“ und Ludwig Hirsche
tieftrauriges „Komm, großer schwarzer Vogel“ mit Fischer im dunklen Federkostüm. In diesen Momenten, in denen dieser zur Ruhe kommt, nicht mehr über die Bühne hastet, sondern sich ganz dem
jeweiligen Lied ergibt, ist er einzigartig, ein Chansonnier wie kein anderer, dem man bereitwillig überall hin folgen möchte, ob auf die Achterbahn oder in die Gosse. Hauptsache, er singt dort
weiter. Ohne Band. Ohne Show. Nur Tim Fischer. Das würde schon reichen. Das wäre so schön.
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