Kapuzineräffchen haben es schwer. Zumindest dann, wenn sie zu viele Informationen über ihre Käfigwelt erhalten. Etwa wenn sie feststellen, dass einige ihrer Artgenossen für Spielsteine nicht etwa schnöde Gurkenscheiben, sondern saftige Trauben bekommen. Was für eine Ungerechtigkeit. Wie viel besser hat man es da als Mensch, der sowohl Gurken als auch Trauben einfach wegwerfen kann und sich stattdessen einen Burger kauft. Oder einen SUV. Mit automatischer Heckklappe! Ein Hoch auf den Konsum, der so geschickt übertüncht, dass überbordender Optimismus nicht immer angeraten ist. DA hilft es, wenn jemand wie Gregor Pallast mal ein wenig genauer hinschaut, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, ob es überhaupt das einzige Glas ist und wem es in Wirklichkeit gehört. Mit seinem neuen Programm „Ansichtssache“, das jetzt im restlos ausverkauften Pantheon Premiere feierte, steigt der aufstrebende Bonner Kabarettist in die Tiefen von Wirtschaft und Finanzwelt hinab, berechnet die Effizienz von Smart und Leopard II und nimmt sich das Oligopol der Wirtschaftsprüfer zur Brust. Harter Tobak. Aber guter Stoff.
Natürlich ist nicht alles schlecht und muss nicht alles negativ gesehen werden. Es kommt eben immer auf die Perspektive an. Für Gregor Pallast läuft es zum Beispiel derzeit hervorragend: Erst vor
wenigen Wochen hat er sowohl beim Paulaner Solo als auch beim Rheinbacher Satirelöwen einen Doppelsieg feiern können und jeweils Jury und Publikum gleichermaßen überzeugt, jetzt macht er in
seiner Heimatstadt weiter. Trotz des einen oder anderen Aussetzers spürt man die Souveränität, die der 41-Jährige in den vergangenen Jahren gewonnen hat. Er ist klarer geworden, durchdachter,
tiefer, schlägt größere Bögen und malt präzisere Bilder. Nicht immer, aber immer öfter. Übersprudelnder Optimismus ist ja schön und gut, sagt er – aber bei einem Statiker? „Die Brücke hält schon
irgendwie.“ Sehr vertrauenerweckend. Und mal ehrlich, bei den Superlativen predigenden Schlaraffenland-Politikern a la Boris Johnson und Donald Trump, die das Blaue vom Himmel versprechen und
dabei die Realität völlig aus den Augen verlieren, wirkt die scheinbar positive Botschaft auch mehr als nur ein bisschen unheimlich. Zumindest, wenn man über sie nachdenkt, bevor man wählen
geht.
Aller geistigen Schönfärberei zum Trotz ist nicht alles in Ordnung in der Welt. Und dabei geht es gar nicht so sehr um Hartz-4-Empfänger, die sich Sozialleistungen erschleichen, weil ihr
Einkommen nicht mal für das Nötigste reicht. Nein, das Problem liegt woanders. Und Gregor Pallast weiß auch, wo. Bei großen Konzernen, die mit allem durchkommen, bei der Autoindustrie mit ihren
Abgas-Lügen oder bei den Bahn-Vorständen, die für alles zuständig aber für nichts verantwortlich sind. Dabei könnte man gerade auf die gut verzichten. Würden deren Boni einfach mal an die
Lokführer ausgezahlt oder für zusätzliches Personal verwendet, würden die Züge vielleicht auch mal pünktlich kommen. Was soll schon passieren? „Niemand hat Angst vor einem streikenden
Management“, sagt Pallast. Stattdessen werden die Mächtigen hofiert und gemästet, damit sie sich später selbst weiter bereichern können so wie beim Cum-Ex-Skandal. „Wenn die europäischen Staaten
mal ihre Steuersysteme in Ordnung bringen würden, hätten sie Griechenland jedes Jahr drei Mal retten können“, schimpft Pallast, der hauptberuflich am Siebengebirgs-Gymnasium in Bad Honnef
Biologie und Sozialwissenschaften unterrichtet und daher explizit ökonomische Bildung fordert, damit nicht jeder automatisch davon ausgeht, dass alles gut wird oder gar besser. Sondern vielleicht
auch einmal schwierig.
So anschaulich Pallast auch wirtschaftliche Zusammenhänge mit Kapuzineräffchen erklärt und Klimapolitik mit Beckenpinklern, wirkt er doch am leidenschaftlichsten, als er sich der Bildungspolitik
nähert – und wie schon im Vorgängerprogramm ein paar Schulbücher hervorholt, deren Aufgaben in ihrer Banalität eine enorme Diskrepanz zu dem aufweisen, was Schüler laut Lehrplänen wissen und
können sollten. Wenn Herbert Grönemeyers Konsum-Song „Kaufen“ zum Unterrichtsinhalt wird, ist Optimismus mit Blick auf zukünftige Generationen fehl am Platz. Für Gregor Pallast dürfte das Glas
dagegen nicht nur halb, sondern gut voll sein. Der tosende Applaus im Pantheon spricht auf jeden Fall dafür.
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