„Cyrano“: Die Poesie der Nase

Briefe über Briefe fliegen durch den Kuppelsaal im obersten Stock der Thalia-Buchhandlung, rote, blaue, gelbe, eine Flut von geschriebenen Worten voller Poesie und Gefühl. Ein Liebesbeweis nach dem nächsten gelangt auf diesem Wege zu Roxanne, die angesichts der romantischen Botschaften und zärtlichen Andeutungen dahinschmilzt. Die Worte sind es, die sie rühren – und doch ist es die Optik, die sie wählt. Denn Schönling Christian, dem sie ihr Herz geschenkt hat, könnte diese Zeilen beim besten Willen nicht verfassen. Das gelingt nur ihrem Cousin Cyrano de Bergerac, dessen Feder so flink ist wie seine Klinge, dessen Zunge so spitz und dessen Herz so groß ist wie seine Nase. Weil er sich seines Zinkens schämt, hilft er Christian bei der Eroberung von Roxanne, auch wenn seine Liebe dadurch unerwidert bleibt. Ein tragischer Stoff. Und zugleich ein unglaublich komischer, wie das Euro Theater Central nun mit der Inszenierung von Laura Tetzlaff eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Das Euro Theater hat es derzeit nicht leicht: Seit es sein Stammhaus am Mauspfad verlassen musste, ist es gewissermaßen heimatlos. Zwar hat es ein neues Domizil in Zentrumsnähe in Aussicht, doch die Genehmigungen für den notwendigen Umbau lassen auf sich warten. Umso bemerkenswerter ist es, dass es dennoch eine Premiere stemmt und neben bewährten Repertoirestücken auch eine neue Produktion auf der Bühne des Kuppelsaals präsentiert, die das Euro Theater übergangsweise mit dem Jungen Theater teilen darf. Edmond Rostands „Cyrano“ ist dabei eine exzellente Wahl, nicht nur aufgrund des unerschütterlichen Mutes und der beeindruckenden Wortkunst des Titelhelden, sondern auch dank einer überaus frischen Jugendfassung von Jo Roets und Greet Vissers, die an diesem besonderen Ort einen ganz eigenen Charme entfaltet. Mit Paula Luy, Gareth Charles und Jonathan Dorando hat das Euro Theater dabei erstmals mit Absolventen und Studenten der Schauspielschule Der Keller Köln gearbeitet – auch das ein Glücksgriff. Das Trio harmoniert hervorragend miteinander, ist spielerisch stark und setzt gleich zu Anfang mit einer furiosen Fecht-Choreographie einen eindeutigen Akzent. „Wir sind da und gekommen, um zu bleiben.“

Regisseurin Tetzlaff hat ihrem jungen Ensemble denn auch etliche Freiheiten gelassen und ihnen erlaubt, sich auszutoben. Dementsprechend wild und verrückt wirken viele Szenen, gnadenlos überzeichnet aber zum Glück niemals albern. Diese Balance bewahren sich die Schauspieler selbst dann, wenn Gareth Charles, der sämtliche männlichen Nebenrollen verkörpert, als Edel-Gastronom mit rosa Schürze über die Bühne springt und dabei in bester Disney-Manier „Sei hier Gast“ schmettert. Doch gerade durch den schrillen Ton erhalten die dramatischen, bewegenden Passagen eine besondere Fallhöhe und Emotionalität, so dass „Cyrano“ zu einer Achterbahn der Gefühle wird, die keinen der Zuschauer kalt lassen kann. In den besten Momenten sind die Zwiegespräche von Paula Luy und Jonathan Dorado derart intensiv, dass mehr als nur ein paar Tränen die Wangen hinunterkullern. Gerade für Familien könnte das Stück mit seinem Wechsel aus schreiend komischen und tieftraurigen Passagen der perfekte Abschluss eines Bonn-Besuchs sein, und wer großartiges Theater liebt, sollte sich einen Besuch so oder so nicht entgehen lassen.

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