Die Thomaskirche in Röttgen ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Alle Stühle und Bänke sind besetzt, die Zwischenwände offen, und auch im Altarraum ist jedes Fleckchen belegt. Immerhin sind mit der Kantorei und dem Jugendchor jener Gemeinde, der Jesus-Christus-Kantorei Witterschlick und dem Erweiterten Kammerorchester Röttgen gut 120 Musiker an diesem Volkstrauertag zusammengekommen, um eine Messe der besonderen Art zu zelebrieren, eine, die den vollendeten Klang eines unvollendeten Lebens preist und den ewigen Frieden beschwört. Ein berührendes Anliegen, das bei der Gemeinde Eindruck hinterlässt.
Zum Auftakt setzt der Klangkörper unter der Gesamtleitung von Anke Lehmann mit Felix Mendelssohn-Bartholdys Vertonung von Psalm 55 eine Art Hilferuf ab. „Hör mein Bitten, Herr, neige dich zu
mir“, singen der Chor und Solo-Sopranistin Elisa Rabanus, die mit gefühlvollem, klarem Ton das Flehen gen Himmel trägt. Allerdings bleibt die Dynamik bei diesem Werk überschaubar, so dass sich
die Dramatik nur zum Teil offenbart – gleichzeitig droht es so nicht ins Pathetische zu kippen. Der Wohlklang von Chor und Orchester bereitet vielmehr eine hoffnungsvolle Grundstimmung, auf der
Schuberts unvollendete h-Moll-Sinfonie aufbauen kann. Oder könnte. Denn gerade das Allegro mit seinem explosiven Mittelteil hätte Orchester-Leiterin Yoorina Bae ruhig etwas kontrastreicher
gestalten können, um die anfänglich ländliche Idylle zu durchbrechen. Das Andante gelingt da schon besser und leitet so geschickt zum Hauptwerk des Abends über: Gabriel Faurés berühmtem
Requiem.
Das große Werk des Franzosen ist eine Totenmesse von ungewöhnlicher Form, aber auch von ebensolcher Schönheit. Im Gegensatz zu Verdi oder auch zu Mozart verzichtete Fauré auf eine Ausgestaltung
des Jüngsten Gerichts („Dies irae“), sondern betete vielmehr für die ewige Ruhe der Verstorbenen. Lediglich im „Libera me“ taucht der Tag des Zorns auf, der jedoch durch die Verheißung eines
friedvollen Himmelreichs abgemildert wird. Die zarten Gesangspassagen setzt der Chor denn auch souverän um, während Elisa Rabanus und Bariton Fabian Hemmelmann die Soli stimmungsvoll und
angemessen schlicht darbieten. Auch das Orchester versteht zu überzeugen, nur die Streicher scheinen sich an der ein oder anderen Stelle (etwa im „Sanctus“) ein wenig unsicher zu sein.
Unglücklich auch das ein oder andere grelle Orgel-Register, das aber den Gesamtklang zum Glück nur selten stört. Das Publikum zeigt sich auf jeden Fall begeistert von einem in seiner Gesamtheit
durchaus strahlenden Konzert mit einem an sich bravourösen Klangkörper, das sich mit einem überaus reizvollen Programm und einer positiven Botschaft präsentiert. Die noch bei Mendelssohn
erklingende Todesfurcht ist inzwischen durch die Hoffnung auf ein ewiges Leben verdrängt worden – das Konzept des Abends dürfte somit in mehr als einer Hinsicht aufgegangen sein.
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