Einfach mal ausspannen. Raus aus dem ganzen Wahnsinn, aus dem Alltag, aus den Zwängen der modernen Welt mit Manager, Presse und Gatten. Ein bisschen Wellness, mehr will die Musical-Diva Charlotte (Charlotte Heinke) gar nicht. Stattdessen der Horror: Was ihr als kleines, aber feines Fünf-Sterne-Hotel verkauft wurde, ist in Wirklichkeit eine einsame Almhütte, in der Jungbauer Leopold (Benjamin Sommerfeld) das Zimmer seiner verstorbenen Mutter vermietet. Geht ja gar nicht. Oder doch? Immerhin scheint der bayrische Bub trotz einer rauen Schale ein charmanter Kerl zu sein. Doch hinter der Idylle lauert das Grauen – und hinter dem vermeintlichen musikalischen Lustspiel „Oh Alpenglühn“, das derzeit in Malentes Theaterpalast zu sehen ist, der schier bodenlose Abgrund des Trashs.
Ernst nehmen kann man das Stück von Autor Mirko Bott nicht, das wird schon in den ersten Minuten klar. Ein Klischee nach dem anderen wird bedient und gnadenlos überzeichnet, mit Plattitüden
überfrachtet und methodisch dekonstruiert, bis selbst die Groschenheft-Romane mit ihren Bergwelt-Verklärungen wie große Kunst wirken. „Ich hab so richtig Lust auf Heuschober und Doppelrahmstufe“,
ruft Charlotte im Bann der Landliebe – zu diesem (sehr frühen) Zeitpunkt hat sie natürlich längst Leopold ins Bett und sämtliche Vorbehalte über Bord geworfen. Dabei ist das erst der Anfang. Denn
es kommt noch schlimmer. Und besser. Und schräger. Schließlich ist in diesem Szenario nichts so, wie es scheint. Und so rutscht das Stück zunehmend in das Reich des gehobenen Blödsinns, verweist
auf „Misery“ und „Psycho“, auf „Poltergeist“ und auf den „Herr der Ringe“, ohne Rücksicht auf Verluste und gerade deshalb extrem unterhaltsam. Zumindest sofern man sich auf diese wilde Melange
einlassen kann, die zu allem Überfluss noch mit Musik von Heino bis Lady Gaga garniert ist und die beiden Musical-Darsteller auch gesanglich ganz schön in Anspruch nimmt.
Selbst das größte Wohlwollen könnte „Oh Alpenglühn“ allerdings nicht retten, wenn es hermetisch abgeschlossen wäre. Doch zum Glück können Heinke und Sommerfeld sowohl über sich als auch über ihre
Rollen lachen und nutzen jede Gelegenheit, um aus der Handlung herauszutreten. Die vierte Wand ist an diesem Abend redundant: Mal bietet Charlotte einem Mann im Saal einen Lapdance an, dann
wieder steigt Leopold zu den Zuschauern hinab oder kommentiert die Luft im Spiegelzelt statt die auf der Alm. Das Publikum lacht so mit statt über die Figuren – und nur dadurch verzeihen sie auch
die diversen Fehler und Pannen, die die Premiere prägen. Es ist schon absurd, wenn Sommerfelds Headset im Getümmel den Geist aufgibt, das Ersatzgerät nicht funktioniert und er schließlich, das
eine nutzlos an der linken und das andere an der rechten Wange hängend, zu einem Handmikro greift, um im Duett mit seiner Kollegin gut zu klingen. Oder wenn Heinke als Charlottes Ehemann auf die
Bühne stolziert und angesichts der Wildwest-Atmosphäre einen derartigen Lachanfall bekommt, dass sie den Text kaum zu sprechen vermag. Für die meisten Produktionen wäre dies der Todesstoß, bei
„Oh Alpenglühn“ sorgen aber gerade die Missgeschicke und vor allem der charmante Umgang mit ihnen für Begeisterung. Trash verzeiht eben alles. Wer diese etwa zweistündige Hüttengaudi des
Wahnsinns einmal selber erleben will, hat dazu noch bis zum 15. Februar jeweils Donnerstags, Freitags und Samstags um 19.30 Uhr die Gelegenheit.
Kommentar schreiben