Auch Konzertpianisten müssen mit der Zeit gehen. Und mit der Werbeindustrie. Möglichkeiten gibt es schließlich genug, vor allem in jenen Stücken, die nicht schon an den Rand vollgepackt sind mit Noten. Debussys „Clair de la Lune“ zum Beispiel hat noch mehr als genug Platz für ein bisschen Schleichwerbung. Hier ein Jingle, da ein Klingelton, schon rollt der Rubel. Insbesondere in China, wo während eines Konzerts ohnehin alle Mobilgeräte online bleiben. Anne Folger hat es ausprobiert und ist seitdem überzeugte Vermarkterin in Sachen Klassik.
Nicht, dass sie eine andere Wahl hätte. Irgendwie muss man ja schließlich überleben, und nach einer bösen musikalischen Abrechnung mit der Kreuzfahrt-Industrie bleiben der virtuosen Pianistin und
frisch gebackenen Klavier-Kabarettistin nur noch eingeschränkte Optionen. Also füllt sie bei ihrem Auftritt im Haus der Springmaus konsequent Debussy und auch Chopin auf, preist Beethoven an und
optimiert zusammen mit einem Unternehmensberater Mozarts „Türkischen Marsch“.
Folger kann sich dies allerdings auch erlauben, erweist sich die charmante Dame im blauen Strampler doch als überaus versierte Tastentänzerin, die mit Liszts „Rigoletto-Paraphrase“ auch mal den
Flügel an seine Grenzen bringt. Gleichzeitig weiß sie Pointen geschickt zu setzen – das hat sie in ihrer Zeit als eine Hälfte der Queenz of Piano gelernt. Gut, ihre Krankheitsdiagnosen anhand von
Schlagertexten sind jetzt nicht der große Wurf (auch wenn das Publikum sich köstlich amüsiert), doch einige eigene Lieder sowie ein ICE-Song der Klavierkabarettistin Christiane Weber haben
durchaus Witz. Und dann wären da noch die Schminktipps mit Beethoven: Flugs schlüpft Folger in die Haut ihres Alter Egos Doremi, die als erfolgreiche Youtube-Bloggerin genau weiß, wie man die
„Violin Line“ und die „Base Line“ aus der Elise-Produktreihe aufträgt, ohne sich lächerlich zu machen. Eine köstliche Nummer, die gnadenlos selbst ernannte Beauty-Queens aufs Korn nimmt, ohne
dabei albern zu wirken. Das muss man erst einmal schaffen.
Kurzum, Anne Folger macht Spaß. Als Sängerin macht ihr keiner etwas vor, als Pianistin erst recht nicht, und auch als Autorin macht sie eine gute Figur, wie diverse Geschichten aus ihrer Kindheit
in der ehemaligen DDR und der Zeit in einem Musikinternat treffend beweisen. In der Springmaus kommt dies denn auch hervorragend an. Zwei Zugaben muss Folger aus dem Ärmel schütteln, darunter
eine schon zu Beginn des Programms versprochene Verschmelzung von Johann Sebastian Bach und „Here Comes The Sun“. Davon könnte ruhig mehr kommen. Das Publikum würde es mit Sicherheit freuen. Und
das ein oder andere Marketingunternehmen sicherlich auch.
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