Jazzfest 2019: Bass und Besser

Der Kern des Jazz ist die Überraschung. Die ständige Neugier des Menschen nach Erfahrungen jenseits des Bekannten, nach Experimenten und Grenzüberschreitungen. Tradition trifft auf Innovation – und das in Bonn schon seit zehn Jahren. 2009 fand das erste Jazzfest in der Bundesstadt statt, initiiert von Peter Materna, der nun zum Jubiläum einmal mehr aus dem Vollen schöpft, eher unbekannte, aber nichtsdestotrotz hochkarätige Künstler mit großen Namen verknüpft, unterschiedliche Ansätze in Doppelkonzerten gegenüberstellt und alle Farben und Formen des Jazz in zwei Wochen fasst. Am vergangenen Freitag feierte das Festival in der Bonner Oper seinen Auftakt in gewohnt fulminanter Weise und konnte dabei auf Newcomerin Lisa Wulff ebenso zählen wie auf Stimmwunder Thomas Quasthoff.

Wulff zählt zu den Hoffnungsträgern des deutschen Jazz, die sich in nahezu allen Formationen wohlfühlt und mit ihrem Bass als „verlässlicher, energetischer Ruhepol und zugleich inspirierender Motor“ erweist, wie es in der Begründung der Jury für den Hamburger Jazzpreis 2019 heißt. Bereits im vergangenen Jahr hatte sie an der Eröffnung des Jazzfests mitgewirkt, damals zusammen mit Saxofonistin Anna-Lena Schnabel und Pianistin Clara Haberkamp als Trio Saskya; diesmal ist sie mit ihrem eigenen Quartett gekommen und entlässt ihre eigenwilligen Kompositionen in den ausverkauften Opernraum, der die Stücke der 28-Jährigen begierig aufsaugt. Dabei machen Wulff und ihre Kollegen es dem Publikum nicht immer leicht, pflegen sie doch oft einen überaus modernen, mitunter inkohärenten Stil, in dem verschiedene Strukturen parallel aufgebaut werden und miteinander konkurrieren, bevor sie irgendwann dann doch zueinanderfinden. Vor allem Adrian Hanack (Saxofon) und Martin Terens (Klavier) wagen sich dabei weit vor, verlieren sich aber zum Teil in nebulösen Sphären, in denen die Instrumente abseits melodiöser Pfade an ihre Grenzen gebracht werden. Wulff bleibt dann eher im Schatten und versucht, das Quartett irgendwie zusammenzuhalten, auch wenn Drummer Silvan Strauß sie gerne mal überdeckt. Agiert das Quartett allerdings als Einheit, entstehen fantastische Momente, mal funkig („M.B. Ride“), mal verspielt („Rumo's Adventure“) und mal überaus lyrisch. Schön auch das eigens fürs Jazzfest komponierte „Nightmares and Daydreams“, das das Leben eines Jazzmusikers mit all seinen Ängsten und Hoffnungen beschreibt und das erfreulicherweise vor allem letztere betont.

So sehr Lisa Wulff derzeit auch hofiert wird, ist ein Großteil des Publikums doch wegen eines anderen Künstlers gekommen: Wegen Thomas Quasthoff. Der hatte schon am Abend zuvor bei einem Empfang des Bundespräsidenten in der Villa Hammerschmidt zeigen können, dass er den Wechsel vom klassischen Fach zum versierten Jazz-Sänger längst perfektioniert hat, und knüpft in der Oper nahtlos daran an. Natürlich setzt der Bariton weiterhin auf Standards, denen er mit seiner unvergleichlichen Stimme schmeicheln kann, auf „Stardust“ etwa oder auf „Summertime“ in zunächst herrlich reduziertem Gewand. Doch auch in der Improvisation fühlt sich Quasthoff zu Hause, gurrt und schnalzt, knurrt und brummt, scattet und groovt, brabbelt und schreit bei einer Solo-Nummer wie ein Wahnsinniger. „Ich finde, die Gesprächsqualität im europäischen Parlament muss besser werden“, kommentiert er das. Ja, Quasthoff äußert sich durchaus auch politisch, mehrfach sogar, obwohl im nach eigenem Bekunden an diesem Abend auch der Schalk im Nacken sitzt. Den kann er ruhig rauslassen – das Trio in seinem Rücken hält das aus. Immerhin besteht es aus den Besten ihres Fachs, aus Frank Chastenier am Klavier, Dieter Ilg am Bass und Wolfgang Haffner am Schlagzeug. Letzterer ist immer wieder ein gern gesehener Gast beim Jazzfest, ein Meister der Drums, der die Dynamik seines Instruments beherrscht wie kein zweiter und immer wieder nach neuen Ausdrucksformen sucht. In der Oper sind es Gummihämmer mit unterschiedlichen Klangfarben, die auch auf dem Kopf von Thomas Quasthoff bestens funktionieren. Klingt nach Quatsch, ist aber Jazz. Und gut. Ach was, besser.


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