„Amok“: Der Tod lauert hinter jeder Ecke

Es war ein Experiment: In der Form, in der Besetzung, aber auch in der Wahl des Termins. Ein Live-Hörspiel mit 14 Akteuren, ein Stück über einen Amoklauf – und das an Gründonnerstag. Die Pauluskirche hat sich auf genau dieses Wagnis eingelassen. Pfarrer Dr. Jochen Flebbe von der Evangelischen Thomasgemeinde hatte den Autor Michael Nolden eingeladen, das von ihm geschriebene „Amok“ zusammen mit Schauspielern und Sprechern aus Bonn und der Region in einer aktualisierten Fassung zu realisieren und damit anzuknüpfen an eine Predigt über das Verhältnis von Leben und Tod, die mit Blick auf Karfreitag nicht von ungefähr kommt. „Die Möglichkeiten des Theaters können in der Kirche noch einmal Antworten aus einer anderen und weiteren Perspektive über Predigt und Liturgie hinaus geben, in ihrer besonderen Ästhetik Herz und Sinne berühren und zeigen, dass es durchaus ein Leben gibt, das man dem Tod entgegensetzen kann“, so Flebbe.

Allerdings stellten sich nur wenige Mitglieder der Gemeinde dieser besonderen Herausforderung. Eine Überraschung war dies für Flebbe nicht: „Schon beim Aufhängen der Plakate waren viele Geschäftsleute skeptisch“, berichtete er im Vorfeld der Veranstaltung, deren Erlös für die Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg bestimmt war. Doch Nolden und sein Ensemble, in dem unter anderem die Bonner Schauspielerinnen Nina Goldberg und Julia Roebke mitwirkten, ließen sich nicht entmutigen und hauchten dem aus allerlei Dialog-Sequenzen zusammengestückelten Text von 2009 Leben ein. Geschildert wurden die Geschehnisse während eines Amoklaufs in einem Einkaufszentrum und die existenziellen Fragen, die sich Menschen in derartigen Situationen zwangsläufig stellen. Warum bin ich hier, warum ausgerechnet heute? Habe ich eine Chance? Und was ist mit den anderen? Sind sie mir egal? Oder muss ich mich in die Schusslinie wagen, um ihnen eine Zukunft zu geben?

Immer weiter spannen sich die Dialoge, in einem Telefonladen, einem Shampoo-Geschäft, einer Boutique, einer Saftbar. Vieles klang absurd, zu normal für eine derartige Extremsituation, zu ruhig, zu offenherzig. Panik lauerte nicht in den Stimmen der Erzähler, selbst als einer der drei Amokläufer in ein Kinderparadies eindrang und ein Verkäufer zum Helden wurde. „Ich bin schwul – soll heißen, dass ich nicht Vater werde“, so seine Begründung, warum er gehen müsse und nicht der Sicherheitsmann mit der schwangeren Ehefrau. Anderenorts dagegen weniger heroische Taten: Ein Verkäufer verhöhnte einen Attentäter hinter einer Scheibe aus kugelsicherem Glas, ein weiterer bewunderte die mörderische Eleganz der Schützen. Und dann natürlich die Sondereinheiten der Polizei, die in „Amok“ an ihre Grenzen gebracht wurden, manches aber auch durch mangelhafte Kommunikation selber verbockten. Die Dialoge zwischen dem Einsatzleiter und den Teamführern gehörten denn auch zu den intensivsten Momenten des knapp 75-minütigen Programms, das am Ende mit herzlichem Applaus bedacht wurde.

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